Neulich im Liegestuhl: Ich nehme mir endlich einmal Zeit für ein Buch, das mir mein Mann geschenkt hat: „Hygge. Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht“ von Meik Wiking. „,Hygge‘ – wieder so ein Wort, das die letzten Jahre die Magazine erobert hat“, denke ich. Und sehe Wollsocken vor mir, Kakao und Kaminfeuer. Gemütlichkeit eben, Einkuscheln, Zeit fürs Nichtstun. Faulenzen, Klönschnack mit Freunden, Deko basteln. Oder im Sommer auf einer Wiese in der Sonne liegen, eine Blume im Mund. So etwas erwarte ich von dem Buch – etwas Seichtes, das die Seele streichelt.

 

Andererseits weiß ich, dass der Autor Glücksforscher ist und das „Happiness Research Institute“ in Kopenhagen leitet. Also doch etwas Seriöses, wissenschaftlich Fundiertes? Ich fange an zu lesen und bin positiv überrascht. Denn bei Hygge geht es nur vordergründig um gemütliche Wollsocken und ständig brennende Kerzen. Es ist eine Lebenshaltung, eine Kultur, grundlegender Bestandteil der dänischen Identität. Und es sind drei Faktoren, die dabei eine wesentliche Rolle spielen: Sicherheit, Soziale Beziehungen und Achtsamkeit. Doch dazu gleich mehr.

Das Hygge-Gefühl wird vom Bindungshormons Oxytocin ausgelöst, das zum Beispiel beim Kuscheln ausgeschüttet wird. Die Herkunft des Wortes „Hygge“ deutet darauf hin: Es kommt ursprünglich von „umarmen“ und „trösten“.
Die Ruhe der Dänen

Hygge ist eine Lebensart, die bei unseren nördlichen Nachbarn den Alltag durchdringt, Arbeit wie Privatleben. Seit Jahren landen die Dänen auf den vorderen Plätzen in Glücks- und Zufriedenheits-Rankings. Und laut Meik Wiking ist Hygge daran maßgeblich beteiligt. Doch worum geht es dabei eigentlich?

 

Jeder Däne will es sich möglichst „hyggelig“ machen, ob zu Hause oder im Café. Und das bedeutet, dass es angenehm und zum Wohlfühlen sein soll, entspannt und unangestrengt. Deshalb wird bei unseren nordischen Nachbarn auf schlichtes, aber schönes Design geachtet, auf Licht, das eine gute Atmosphäre erzeugt und Essen, das gern langsam vor sich hin köcheln kann, währenddessen man in einer gemütlichen Ecke im Lieblingsbuch versinkt. Deshalb kleiden sich Dänen leger und lieben es, im Urlaub einfach nur in der Natur zu sein. Deshalb arbeiten sie nur 37 Stunden in der Woche, und spätestens um Fünf ist Feierabend. Dann gehört ihre Zeit der Familie.

Klingt sehr entspannt, nicht getrieben und gestresst. Klingt nach Lebensqualität und Selbstbestimmung. Nach innerer Ruhe. Schauen wir uns also drei erwähnte Hygge-Faktoren genauer an:

 

1. Sicherheit

Dass Sicherheit das bestimmende Element von entspannter Lebensart ist, habe ich so nicht erwartet. Meik Wiking spricht davon, dass das Hygge-Gefühl auf der Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin beruht. Es wird zum Beispiel beim Kuscheln einer Mutter mit ihrem Kind ausgeschüttet und bewirkt bei beiden ein sicheres wohliges Gefühl in Körper und Seele. Auf den Zusammenhang deutet die Herkunft des Wortes „Hygge“ hin: Es kommt ursprünglich von „umarmen“ und „trösten“. Dieser Schutz spielt eine große Rolle bei den Dänen – ein Aufgehobensein, das Frieden und Sicherheit bringt. Diese Geborgenheit und friedvolle Ruhe kann man auch erleben, wenn man sich allein mit Kakao und Kuscheldecke an seinen Lieblingsplatz verzieht.

 

2. Soziale Beziehungen

Die Nordlichter legen Wert auf gute harmonische Beziehungen. Man arbeitet gern zusammen, beansprucht für sich genauso wie für den Anderen viel Freiheit und hat gleichzeitig ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Hierarchien werden nicht zelebriert, man begegnet sich auf Augenhöhe. Transparenz und Ehrlichkeit werden großgeschrieben. Man vertraut sich. Mit Familie und Freunden verbringt man viel Zeit, gerade beim Essen. Die einfachen Genüsse zählen. Enge, fürsorgliche Verbindungen gehören zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Zugehörigkeit bietet Schutz und Ruhe.

 

3. Achtsamkeit

Meik Wiking benutzt den Begriff Achtsamkeit fast nicht – vielleicht, weil er inzwischen so überpräsent und abgenutzt ist. Aber er beschreibt das schlichte Wahrnehmen und Wertschätzen dessen, was da ist. Ohne darüber nachzudenken, es einzuordnen, zu beurteilen. Einfach nur bei dem sein, was gerade gesehen, gehört, gespürt, gerochen und geschmeckt werden kann. Wie zum Beispiel ein einfaches Mahl mit guten Freunden. Mit einer Prise Dankbarkeit und einer Spur Zeitlosigkeit gewürzt. Achtsam durch den Alltag gehen fördert die innere Ruhe.

 

 

Ruhe als Grundkonzept

Es gibt eine Passage in der Bibel, die mich im Blick auf unser immer hektischer werdendes Leben schon seit ein paar Jahren beschäftigt. Im Brief an die Hebräer spricht der Verfasser im vierten Kapitel von dem einen Ziel, das Gott mit seinem Volk – damals mit Israel und heute mit uns – schon immer hatte. Leider erreichte das Volk Israel es nicht, auch nach 40 Jahren mühsamen Umherirrens in der Wüste nicht, weil es nicht auf Gott hörte. Dabei handelt es sich bei dem Ziel nicht in erster Linie um ein gelobtes Land, wo alles in Hülle und Fülle vorhanden ist. Und es ist auch nicht etwas, das erst nach unserem irdischen Leben auf uns wartet. Es ist nichts Abgehobenes nur für Auserwählte, sondern Gott hielt es für sein ganzes Volk bereit: Ruhe. Er wollte und will uns alle mit dem beschenken, was ihn selbst ausmacht: Er, der große, ewige Gott, der Schöpfer aller Dinge – dieser allmächtige Gott ruhte am Ende seines Schaffens (1. Mose 2,2).

 

Nachdem er alles erschaffen hatte, vom Licht bis zum Menschen, nahm Gott sich eine Auszeit. War er erschöpft? Ich denke nicht. Vielmehr wollte er es tun. Auch als Beispiel für uns, die wir als seine Ebenbilder erschaffen wurden. Seine Auszeit am Ende der Arbeitswoche zeigt uns, dass es genau so sinnvoll ist: Arbeiten und Ruhen, Anspannung und Entspannung, etwas Schaffen und es dann in Ruhe betrachten und sich daran freuen. Und dann wieder neu starten.

Im Hebräerbrief heißt es, wir sollen alles daran setzen, dass wir heute Gottes Ziel mit uns erreichen: seine Ruhe (Kapitel 4, Vers 11). Alles daran setzen! Gottes Ruhe ist also kein Nice-to-have, kein Kann oder Vielleicht – sondern ein Must-have, ein Muss, wenn wir gesund bleiben wollen an Körper, Seele und Geist. Darum setzt Gott sie ganz oben auf die Liste unserer Lebensprioritäten.

 

 

Eine ignorierte Einladung?

Gott hat diesen Ort der Ruhe höchst selbst für uns vorbereitet. Dort will er uns haben – nicht in Arbeitsüberlastung, Hektik, Nervosität und innerer Unruhe. Natürlich ist keiner von uns davor gefeit, solche Phasen im Leben zu haben. Jeder kennt Zeiten mit großen Herausforderungen, wenn plötzlich zu vieles auf einen einstürmt, wenn das Leben Krisen oder Konflikte präsentiert. Und gerade weil das so ist,  brauchen wir einen Tenor in unserem Leben, der uns hilft, in diesen Zeiten nicht auszuflippen. Wir brauchen den Grundton der Ruhe und des Friedens.

Gott hat diesen Ort der Ruhe höchst selbst für uns vorbereitet. Dort will er uns haben – nicht in Arbeitsüberlastung, Hektik und innerer Unruhe.

Gott wusste das von Anfang an. Nur wir wissen es oft immer noch nicht (oder wollen es nicht wissen). Oder handeln zumindest nicht danach. Innere Unruhe und Anspannung ist weit verbreitet und oft an körperlichen und psychischen Erkrankungen beteiligt. Haben wir alle schon mal gehört, oder? Und tun doch nicht alles dafür, uns nach Gottes Ruhe und Frieden auszustrecken. An diesen Ort zu kommen. Zur Zeit des Volkes Israel war damit auch ein physischer Ort gemeint: Kanaan, das Land, in dem Milch und Honig floss (2. Mose 3,8).

 

Heute ist es ein Ort in uns. Ich brauche eine Ruhe, die mich auch in äußeren unruhigen Situationen inneren Frieden spüren lässt. Nach allem Überlegen, Planen,  Entscheiden, Umsetzen, Tun, das jeden Tag von mir gefordert ist, kann ich mich an den Ort begeben, wo nichts von mir gefordert ist. Wo nichts ist – außer Gott, der gern mit mir zusammen ruht.

 

Das ist Gottes großes Ziel mit uns: in und mit ihm zur Ruhe zu kommen (siehe Hebräer 4,1–11). Und dorthin immer wieder zurückkehren zu können, egal was gerade los ist. Ja, das ist ein Trainingsfeld, und es ist mir sehr bewusst – aus eigener Erfahrung – , dass es nicht leicht ist, dorthin zu kommen. Und doch ist es auch etwas Einfaches, Schlichtes. Wir müssen es nur wollen und die Ruhe Gottes als unseren Nordstern haben: Da wollen wir hin!

Gott hat sich bei allem, was er für uns, seine Menschen, wollte, etwas gedacht. Alles hat seinen Sinn. Deshalb hat es auch seinen Sinn, dieses übergeordnete Ziel anzupeilen und ihm näherzukommen. Ganz bewusst und jeden Tag. Sich regelmäßig auszuklinken und die äußere Ruhe zu suchen, hilft dabei.

 

Nicht mehr ständig unter Strom

Gott verspricht: „Jeder, der zu meiner Ruhe kommt, wird von seiner Arbeit ausruhen können“(vgl. Hebräer 4,10). Wie sehr brauchen wir das gerade heute! Mir fällt der junge Mann ein, der im Supermarkt hinter mir an der Fleischtheke stand. Sonst war keiner da, auch keine Bedienung. Ich spürte, wie seine Anspannung und Nervosität fast in mich hineinkroch. Der Druck, unter dem er stand, war greifbar. Während wir beide darauf warteten, dass die Verkäuferin endlich zu uns kommen würde, malte ich mir seine Situation aus: Seine Freundin (oder seine Mutter?) hatte ihn bestimmt geschickt, noch schnell etwas fürs Abendessen zu besorgen. Und er hatte keine Zeit, er war unter Strom, weil er sich beeilen musste.

 

Ich konnte ihn so gut verstehen! Auch für mich war das über die längste Zeit meines Lebens der Normalzustand – bis zum Burnout vor etwa 13 Jahren. Von einem Moment zum anderen ging gar nichts mehr, ich saß nur noch heulend im Wohnzimmersessel. Damals musste ich etwas ändern, anders hätte ich nicht weiterleben können. An diesem Tag begann meine Reise zur Ruhe Gottes.

 

Heute bin ich ihr sehr nahe gekommen. Es hat mich viel gekostet – Zeit, Kraft und Geld. Zeit, die ich mir trotz aller drängenden Aufgaben immer wieder zur Seite genommen habe. Kraft, die ich aufwenden musste, um gegen meine inneren Widerstände anzugehen, um mich selbst besser zu verstehen, um dazuzulernen, um andere Wege für mich zu finden, wie ich leben kann und will. Geld, weil Weiterbildung und Beratung in der Regel nicht kostenlos sind. Aber es hat sich voll und ganz gelohnt. Nie wieder will ich zurück zur Unruhe dieser Welt, die so zerstörerisch ist, nachdem ich von der Ruhe Gottes gekostet habe. Von diesem Frieden im Herzen, der so viel Kraft freisetzt und wunderbare Zeiten schenkt. Der mit Geld nicht zu bezahlen ist. „Setzt alles daran, zu dieser Ruhe Gottes zu gelangen“, heißt es in Hebräer 4,11. Nicht viel, nicht das Meiste – alles!

 

In diesem Sinne: Kommen Sie zu Gott! Schalten Sie ab! Finden Sie hinein in seine Ruhe. Der Sommer mit seinen langen und langsameren Tagen ist eine wunderbare Zeit, damit zu beginnen. Denn wenn nicht jetzt, wann dann?

 

RUHE KULTIVIEREN – SO GEHT’S

 

1. Zweckfreie Zeit einstreuen

Wir sind gut darin, vieles zu planen und zu erledigen. Das muss ja auch weitgehend so sein, denn für viele von uns ist das Leben voll und durchgetaktet. Umso mehr tut es gut, nicht ständig im On-Modus zu sein, sondern Lücken einzuschalten. Und dann: Etwas tun, das Spaß macht – einfach so! Ohne ein Ergebnis erzielen zu wollen. Spielen. Sich im Moment verlieren. Gute Vorbilder: kleine Kinder. Sie machen das von ganz alleine so.

 

2. In die Natur gehen

Die meisten Menschen können abschalten, wenn sie im Grünen sind. Wenn sie im Wald spazierengehen, im Garten in der Erde wühlen, am See sitzen und aufs Wasser schauen.

Warum nicht in der Mittagspause, mit dem Brot in der Hand, eine Runde durch den Park drehen? Oder nach Feierabend erst noch kurz an den Fluss fahren? Oder auch mal die Freunde mit Garten besuchen und mit ihnen zusammen Pflanzen setzen?

 

3. An eine glückliche Situation denken

Jeder hat schon besondere Momente erlebt, die ihm gute Laune geschenkt haben – viele davon ganz früh: der schöne Spielort als Kind, der erste Urlaub in der Jugendgruppe, das Zusammensein mit der „besten Freundin“. Diese Augenblicke zaubern ein Lächeln auf Gesicht und Seele. Also: einfach mal für sich sein und wieder hineintauchen. Den entsprechenden Ort wieder aufsuchen, tatsächlich oder in der Erinnerung. Glückserleben garantiert.

 

4. Kuscheln

Den Lieblingsmenschen nehmen (vorher um Erlaubnis fragen!) oder das Lieblingstier mit Fell: Umarmen, an sich drücken, streicheln! Wir sind für Nähe und Berührung geschaffen, Körper und Seele brauchen das. Der wunderbare Effekt: Das Bindungshormon Oxytocin fließt durch den Körper, der Blutdruck wird gesenkt, die angespannten Muskeln lassen los, ein wohliges Gefühl macht sich breit. Was kann schöner sein?

 

5. Bei Gott zur Ruhe kommen

Auch hier gilt: Sich selbst einladen, aus dem Autopilot-Modus des Alltags herauszutreten. Die Aufmerksamkeit bewusst von der To-do-Liste und der nächsten drängenden Aufgabe wegnehmen und hinlenken auf den, der mir das Leben gibt. Seinen wohltuenden liebevollen Blick für mich wahrnehmen. Die Freude und Leichtigkeit spüren, die sich in Körper und Seele breitmachen, wenn ich an seine guten Absichten für mich denke. Seine Gegenwart genießen.

Karin Dölla-Höhfeld

ist Diplom-Biologin und Expertin für ein gutes Leben. Sie arbeitet – nach zehn Jahren im Fernsehen – seit 1998 als persönliche Beraterin und Coach für Menschen mit Verantwortung.

 

www.doella-hoehfeld.de

 

www.hoehfelds-hof.de

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