MINDO: Herr Pahnke, sich selbst einmal genauer ansehen, die eigenen Motive und Verhaltensmuster hinterfragen – das klingt zunächst einmal nach Arbeit und auch nach unbequemen Entdeckungen. Warum lohnt es sich trotzdem, nicht an der Oberfläche stehen zu bleiben, wenn es um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geht?
FRANK PAHNKE: Indem ich mich einmal intensiver und genauer anschaue, lerne ich mich und auch andere besser kennen. Ich erkenne früher, warum ich in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Weise reagiere. Dadurch bekomme ich mehr Selbstvertrauen und ein festeres Fundament für die Lebensstürme, die es immer wieder zu meistern gilt.
Wie geht man eine solche Selbstreflexion am besten an? Kann man das selber bewerkstelligen oder geht man am besten gleich zu einem Coach oder Therapeuten?
Der jüdische Theologe Martin Buber hat den Satz geprägt: „Der Mensch wird am Du zum Ich“. In der Bibel können wir schon auf den ersten Seiten lesen, dass es nicht gut ist, dass der Mensch alleine ist, und dass Gott deshalb beschließt „ihm ein Gegenüber“ zu schaffen. Wir brauchen Menschen, die uns wohlwollend im Leben begleiten, damit wir nicht einseitig werden. Die uns aufrichtig in Liebe und Wahrheit begegnen. Liebe ohne Wahrheit ist irreführend, und Wahrheit ohne Liebe ist brutal – deshalb ist dieses Geschwisterpaar sehr wichtig. Durch den „Außenblick“ einer anderen Person auf mich, werden für mich Verhaltensweisen sichtbar, die ich alleine nicht sehen würde. Und auch wenn wir im Laufe der Zeit immer besser in der Eigenwahrnehmung werden, sollten wir uns von diesem Blick von außen niemals ganz verabschieden. Wir brauchen den ehrlichen und liebevollen Blick eines anderen, damit wir unseren „eigenen Vogel“ nicht ständig füttern.
Seelsorge, Coaching, Therapie – was ist eigentlich für wen wann dran?
In der Seelsorge geht es in erster Linie darum, die Not des anderen auszuhalten und ihm Nähe und Zuwendung geben. Der Seelsorger sollte wahrnehmen, was der Ratsuchende jetzt braucht. Oft reicht ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee und das Leben geht schon leichter weiter. Beim Coaching kommt es darauf an, dass ein ausgebildeter Coach die Ressourcen des Ratsuchenden entdeckt und eben diese dem Ratsuchenden sichtbar macht, damit dieser sie einsetzen lernt. Eine Therapie hingegen setzt immer eine Diagnose voraus. Hier geht es darum, etwas, das erkrankt ist, wieder gesund zu machen. Dies darf jedoch nur ein Psychiater oder Psychotherapeut anbieten.
Lange Zeit standen Psychologie und Religion auf Kriegsfuß miteinander. Das ist mittlerweile glücklicherweise ja weitgehend anders. Wie kann Glaube denn konkret von der Psychologie und ihren Erkenntnissen profitieren?
Durch die Arbeitsweise der Psychologie kann ich verborgene Eigenschaften von mir entdecken, welche ich dann konkreter angehen kann, sobald ich eine Veränderung wünsche. Die Psychologie widerspricht dem christlichen Glauben in keinem Punkt, sondern hilft mir, den Menschen, den Gott erschaffen hat, besser zu verstehen. Und dadurch auch manchen Zusammenhang in und aus der biblischen Sicht.
Und was kann umgekehrt Psychologie vom Glauben lernen?
Dass, obwohl falsch verstandener Glaube einen Menschen natürlich auch krankmachen kann, der befreite Glaube eine wichtige Ressource ist, um einen Heilungsprozess zu unterstützen. Dieser Glaube, zu dem die Bibel uns einlädt, weiß, dass wir einen liebenden Gott haben, der sich nach uns sehnt. Einen Gott, der es gut mit uns meint und uns durch schwierige Situationen in unserem Leben beistehen möchte, ja uns sogar durchtragen möchte. Durch das Wissen, selbst geliebt zu sein, fällt es uns leichter, Liebe auch an andere weiterzugeben. Wir können eigene Schwächen eher annehmen und ich kann Menschen, von denen wir verletzt wurden, leichter vergeben. Als Christ kann ich auf die bedingungslose Liebe und Wertschätzung Gottes täglich zurückgreifen und darin eine Kraft finden, die mir keine Therapie je erschließen kann.
Kann Selbstreflexion auch gefährlich werden?
Selbstreflexion kann dann gefährlich werden, wenn ich es nicht schaffe, auch die nicht so schönen Seiten an mir anzunehmen. Wenn ich mich nur noch um mich selber drehe, weil ich gewisse Verhaltensmuster an mir entdecke, die ich nicht verändern kann, obwohl ich es gerne möchte. Doch erst, wenn ich etwas annehmen kann, kann ich es auch verändern.
Und wie schafft man es, an sich zu arbeiten und sich doch gleichzeitig auch so anzunehmen, wie man ist, und damit der heute permanent geforderten Selbstoptimierung eine Absage zu erteilen?
Indem ich mir immer wieder bewusstmache, dass wir einen liebenden Vater im Himmel haben, der uns so annimmt, wie wir sind, mit allen Schattenseiten. Erst, wenn ich diese Sicherheit und Annahme spürbar erfahren habe, kann ich anfangen, an der einen oder anderen Stellschraube meiner Persönlichkeit zu drehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Sabine Müller.