„Meine Kollegin, mit der ich mich bisher gut verstanden habe und die ich eigentlich immer geschätzt habe, hat mich in einer Teamsitzung mit einer negativen Aussage über mich sehr schlecht dastehen lassen. Mich hat das sehr getroffen und es hat unsere Beziehung verändert. Im Moment fühle ich mich zu verletzt, um zu vergeben. Aber das möchte ich eigentlich gern. Wie kann ich auf gute Weise mit dem Vorfall umgehen und vielleicht sogar zur Versöhnung finden?“

 

 

Was beim Thema „Vergebung“ viele vergessen: Zu vergeben ist kein schneller, sondern vor allem ein ganzheitlicher Prozess. Wir können ihn uns vorstellen, wie das Schälen einer Zwiebel mit ihren unterschiedlichen Schichten. Situationen, in denen wir verletzt werden, hinterlassen Spuren in unserem Inneren und nehmen Einfluss auf unsere Gedanken, Gefühle, Entscheidungen, unser Handeln und unsere Beziehungen. Wie tief wir dabei verletzt sind, hängt davon ab, wie häufig und über welchen Zeitraum wir verwundet wurden und in welcher Beziehung wir zu der Person stehen, die uns verletzt.

 

Schmerzhafte Situationen können uns in unseren Gedanken so sehr binden, dass wir uns immer wieder um die Tat und den Täter drehen. Und wie beim Zwiebelschälen kann der Weg der Vergebung auch unangenehm sein. Doch wir gelangen auf diese Weise in eine neue Freiheit und können bestenfalls sogar Möglichkeiten der Versöhnung finden. Daher profitieren wir selbst als Erste davon, wenn wir uns auf den Weg der Vergebung einlassen. Und das kann sogar zunächst unabhängig vom anderen geschehen:

 

1. Sich entscheiden, sich auf den Prozess der Vergebung einzulassen

Wir entscheiden uns, den Schmerz, den die Situation in uns ausgelöst hat, zuzulassen: „Ja, das hat mir weh getan!“ Wir beginnen wahrzunehmen, in welcher Weise die entsprechende Situation uns verletzt und uns in unseren Gedanken, Gefühlen und unserem Verhalten beeinflusst. In diesem Fall: Was genau hat Sie am Verhalten Ihrer Kollegin verletzt – ihre Worte, ihre Gestik, ihre Haltung? Wie hat es Ihre Beziehung beeinflusst?

 

2. Die Gefühle zulassen, die mit der Verletzung einhergehen

Es kann sein, dass die verletzende Situation etwas in uns verändert und uns etwas geraubt hat. Wir haben etwas verloren: die gute Beziehung zur Kollegin, ihre Anerkennung, die Achtung der anderen Kollegen, unsere Selbstsicherheit, unsere Unbekümmertheit bei der Arbeit u. ä.

 

Fragen Sie sich: Welche Gefühle löst das in mir aus? Verunsichert oder beschämt es mich? Dann ist es eventuell an der Zeit, an einem sicheren Ort zur Ruhe zu kommen und Trost zu empfangen. Solch ein sicherer Ort kann eine Gebetszeit sein, in der wir uns in Gottes liebende Arme fallen lassen können. Es kann aber auch ein Spaziergang in der Natur sein, ein Gespräch mit einer vertrauensvollen Freundin oder einer Seelsorgerin, einem Seelsorger. Ein Getrösteter kann den Verlauf eines Vergebungsprozesses positiv beeinflussen.

Wir sind eingeladen, das Wagnis der Vergebung einzugehen, um Freiheit zu erlangen, wo wir gefangen sind.

Oder kommen Gefühle der Rache und Wut in uns hoch? Wut beinhaltet immer auch energiereiche Vitalkraft. Das Gefühl von Wut kann zum Ausdruck bringen, dass wir um allen Preis verhindern wollen, dass wir noch einmal in eine solche Situation gelangen. Wut kann uns viel Kraft und Energie schenken, etwas zu verändern, wenn wir sie konstruktiv leiten.

 

3. Den eigenen Anteil erkennen

Wir selbst sind eingeladen, unsere Schuld in der wohlwollenden Gegenwart Jesu zu betrachten: In welcher Weise haben wir vielleicht selbst dazu beigetragen haben, dass es zu dieser Situation gekommen ist? Steckte in der Kritik meines Gegenübers ein eigener Anteil, für den wir Verantwortung tragen?

 

Wir dürfen Jesus unsere Schuld bekennen und erleben, dass auch wir auf Vergebung und Erneuerung angewiesen sind. Eventuell ist es sogar dran, auch unsere Mitmenschen um Vergebung zu bitten.

 

4. Die Haltung meines Gegenübers verstehen

Die Haltung hinter der verletzten Tat hat häufig Einfluss auf den Erfolg des Vergebungsprozesses: War es ein bewusster Akt der Verletzung oder ein Versehen? Wenn ich erkennen kann, dass es meinem Gegenüber selbst unangenehm ist und die Person weiter an einer guten Beziehung zu mir interessiert ist, ist es eventuell leichter, ihr zu vergeben und sogar zu einer echten, gemeinsamen Versöhnung zu gelangen.

 

5. Freigeben und loslassen

„Mehr als alles andere behüte dein Herz; denn aus ihm geht das Leben hervor“, heißt es in der Bibel im Buch der Sprüche (Kapitel 4, Vers 23). Wir sind eingeladen, das Wagnis der Vergebung einzugehen, um innerlich versöhnt zu sein und Frieden zu finden. Freiheit zu erlangen, wo wir gefangen sind. Und loszulassen, was uns vom Leben abhält.

Georgia Mix

ist als christliche Beraterin, Referentin und Autorin tätig und leitet die Seelsorgepraxis ihrer Gemeinde. Sie ist verheiratet und Mutter dreier Töchter. 

 

 

www.herzwaerts-cb.de

 

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