„Mein Schwager ist seit einem Jahr Witwer. Seine beiden Kinder studieren in entfernteren Städten. Mein Mann und ich haben uns in den ersten Monaten der Trauer sehr um ihn gekümmert, unser Haus stand für ihn quasi rund um die Uhr offen. Was anfangs kein Problem für mich war, stört mich nun doch zunehmend. Er nimmt unser Angebot mittlerweile nämlich über Gebühr wahr und sitzt zwei- bis dreimal die Woche bis in die Nacht hinein bei uns und vereinnahmt uns völlig, am meisten natürlich meinen Mann, der sein Bruder ist. Ich verstehe, dass er einsam ist, finde jedoch, dass er sein Leben so langsam einmal wieder selbst in die Hand nehmen sollte. Bei allem möchte ich ihm jedoch nicht nur als Schwägerin, sondern vor allem auch als Christin natürlich Gastfreundschaft und Nächstenliebe entgegenbringen, bin mit der Situation aber zusehends überfordert. Wie kann ich ihm das nahebringen, ohne ihn zu verletzen?“

 

 

Den Lebenspartner zu verlieren, kann einen ganz schön aus der Bahn werfen! Von einem Tag auf den anderen ist im Leben nichts mehr so, wie es war. Die meisten Menschen, die einen solch schmerzlichen Verlust erleiden, reagieren auf zwei unterschiedliche Arten: Die einen ziehen sich in ihrer Trauer komplett von Familie und Freunden zurück, wollen viel allein sein, sich niemandem zumuten und die Trauer alleine bewältigen. Die anderen würden am liebsten bei Familie oder Freunden einziehen und es vermeiden, sich überhaupt mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen. Beides hat seine Berechtigung und seinen Platz, jeder tickt anders und hat eine andere Form der Verarbeitung. Aber so oder so – irgendwann kommt der Punkt, wo jeder Trauernde sich seiner Trauer stellen, sie verarbeiten und sein Leben wieder in die Hand nehmen muss. Ihr Wunsch, dass Ihr Schwager dies nach einem Jahr der Trauer nun tut, ist also vollkommen legitim.

 

Ihr Schwager scheint bei Ihnen und seinem Bruder nach etwas Vertrautem und Beständigem zu suchen, um nicht ganz den Boden unter den Füßen zu verlieren. Vor allem, da die Kinder bereits aus dem Haus sind und eigene Wege gehen, spürt er vermutlich täglich die erdrückende Einsamkeit, die ihn in seinem eigenen Zuhause umgibt. Da ist das kleinste Stückchen Vertrautheit, Sicherheit und Ablenkung willkommen. Außerdem muss er sich so nicht dem Schmerz stellen, der in seinen eigenen vier Wänden durch die Erinnerungen an seine Frau ständig neu ausgelöst wird. Bei Ihnen kann er durchatmen, Gemeinschaft genießen und zur Ruhe kommen. Wenn er nach Hause in die leere Wohnung kommt, ist die Stille, die mitunter auch sehr laut sein kann, ohnehin schnell wieder da. Wie aber finden nun alle Beteiligten wieder zurück in ein eigenes Leben?

 

1. Machen Sie Ihre persönlichen Grenzen zum Thema

Als Christen nicht nur von Gastfreundschaft und Nächstenliebe zu reden, sondern sie auch zu leben, ist gerade in der heutigen Zeit, wo vieles um uns herum immer kälter wird, enorm wichtig. Dennoch heißt Gastfreundschaft nicht, alle eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen und „allzeit bereit“ für jedermann zu sein, der irgendetwas von Ihnen möchte. Auch Sie haben Grenzen – Grenzen Ihrer Kraft, Ihrer Geduld, Ihrer Kapazität. Auch Christen sind keine Maschinen, die auf Knopfdruck funktionieren und deren Tank sich automatisch immer wieder füllt.

Gastfreundschaft zu leben heißt nicht, alle eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen und „allzeit bereit“ für jedermann zu sein.

In den ersten Monaten der Trauer war es für Sie selbstverständlich, sich um Ihren Schwager zu kümmern und ihm beizustehen – aber natürlich kann das nicht für immer so weitergehen. Ihr Schwager muss sich langsam wieder von Ihnen „abnabeln“ und lernen, sein Leben ohne Partnerin zu gestalten und neu zu füllen, denn Sie haben Ihre eigene Familie und Ihr eigenes Leben, das Sie nach Ihren Bedürfnissen gestalten wollen.

 

Erklären Sie Ihrem Mann, wie es Ihnen mit den ständigen Besuchen seines Bruders geht, wenn er noch nicht weiß, wie sehr Sie sich mittlerweile eingeschränkt fühlen. Vielleicht kann er einmal ein offenes Gespräch mit seinem Bruder führen. Hierbei geht es nicht darum, Unbequemes allein auf Ihren Mann abzuwälzen, aber vielleicht kann er seinem Bruder die Problematik einfach besser nahebringen. Ihr Schwager soll sich ja nicht abgelehnt fühlen, deshalb ist hier sicher eine gute Portion Fingerspitzengefühl angesagt. Wenn Sie der Meinung sind, dass Ihre Beziehung das aushält, führen Sie das Gespräch mit Ihrem Mann gemeinsam. Wichtig ist, dass Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, in der Sie ehrlich sagen können, wie es Ihnen geht, ohne dass es für jemanden peinlich wird.

 

2. Machen Sie konkrete Vorschläge für gemeinsame Treffen

Sagen und zeigen Sie Ihrem Schwager, dass Sie weiterhin für ihn da sind und er grundsätzlich ein gern gesehener Gast ist, der nicht nur geduldet, sondern auch wirklich willkommen ist. Es geht ja nicht darum, dass Sie seinen Besuch nicht mehr möchten, sondern Sie wünschen sich lediglich wieder ein bisschen mehr Freiraum für Ihre eigene Familie und ein wenig „Planbarkeit“ seiner Besuche. Hier helfen konkrete Regelungen, wie beispielsweise alle vierzehn Tage ein gemeinsames Abendessen, einen Besuch zum Kaffee am Sonntag, dazu ein gemeinsamer Spiele- oder Filmabend im Monat oder ähnliches. Was Sie jeweils gemeinsam machen könnten, hängt natürlich von Ihrer Beziehung und Ihren Gemeinsamkeiten ab – niemand sollte sich verbiegen müssen, sondern alle sollten Spaß an der gemeinsamen Zeit haben und sich darauf freuen. Zu Spiele- und Filmabenden kann man übrigens wunderbar andere Freunde einladen, sodass Ihr Schwager hier vielleicht auch die Möglichkeit hätte, neue Menschen kennenzulernen und sein privates Umfeld zu erweitern.

Trauernde sind sehr empfindsam und haben schnell das Gefühl, dass sie eine Last sind – etwas, was niemand gerne sein möchte.

Bevor Sie über konkrete Vorschläge und Ideen sprechen, sollten wirklich alle negativen Gefühle auf dem Tisch gelegen haben und ehrlich ausgesprochen worden sein. Trauernde sind sehr empfindsam und haben schnell das Gefühl, dass sie eine Last sind – etwas, was niemand gerne sein möchte. Dann ziehen sie sich unter Umständen ganz zurück und meiden künftig den Besuch, was ja nicht Ihre Absicht ist.

 

Als Christin können Sie zudem ein potenzielles Gespräch im Gebet vorbereiten und mit Gott über Ihren Schwager und all Ihre Bedenken sprechen. Gott kann Ihnen den richtigen Zeitpunkt zeigen, an dem Sie das Thema bei Ihrem Schwager ansprechen können – und er kann auch Ihren Schwager entsprechend vorbereiten, sodass er Ihr Anliegen positiv aufnehmen kann und dadurch alle gewinnen.

Inge Frantzen

ist MINDO-Redakteurin und systemische Lebensberaterin (IGNIS).

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