Wie häufig sind Soziale Phobien?

Das weite Feld der Angststörungen nimmt nach den Depressionen den zweiten Platz in der Häufigkeit psychischer Erkrankungen und Störungen ein. Unter den Angststörungen wiederum steht die Soziale Phobie an erster Stelle. Ungefähr zwei Prozent der Bevölkerung leiden innerhalb eines Jahres daran, während im Lauf ihres Lebens sogar mehr als zehn Prozent davon betroffen sind. Wie bei den anderen Angststörungen ist auch hier festzustellen, dass der Anteil von Frauen höher ist als der von Männern. Besonders gefährdet sind Jugendliche. Bei ihnen ist die Soziale Phobie oft mit schulischen Herausforderungen verbunden. Sehr viele Soziale Phobien bleiben unerkannt und darum auch unbehandelt, wodurch sie sich häufig chronifizieren. Ein Grund dafür ist die hohe Scham der Betroffenen. Darum ist auch eine genaue zahlenmäßige Eingrenzung der Sozialen Phobien schwierig. Man muss eine ziemlich hohe Dunkelziffer annehmen. Hinzu kommt, dass der Übergang zu mehr oder weniger normaler sozialer Ängstlichkeit und Schüchternheit fließend ist.

 

Wie kommen Soziale Phobien zustande?

Oft geht die Soziale Phobie aus einer Mischung von genetischen Faktoren, Persönlichkeitseigenschaften und erlernten Bewertungsmustern hervor. Mit anderen Worten: Betroffene bringen eine Veranlagung zu sozialer Zurückhaltung mit. Es ist ganz normal und eigentlich auch vorteilhaft, wenn sie darum im Blick auf ihre sozialen Kontakte auch besonders vorsichtig sind. Es kann aber passieren, dass sie sich zum Beispiel durch schmerzlich enttäuschende Erfahrungen veranlasst sehen, die Vorsicht zu übertreiben. Ohnehin brauchen sie schon mehr Mut als andere, soziale Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Wenn sie dann auch noch deutlich entmutigende Erfahrungen machen, neigen sie dazu, diese zu verallgemeinern und sich ganz zurückzuziehen. Daraus folgt aber, dass sie kaum noch Erfolgserlebnisse in dieser Hinsicht haben und sich nicht ausreichend in den Fertigkeiten sozialer Beziehungen üben können. Solche Teufelskreise können zu immer mehr Isolation führen.

 

Wie äußern sich Soziale Phobien?

Wenn es auch keine eindeutige Grenzlinie gibt, ist es doch sehr wichtig, einen deutlichen Unterschied zwischen Sozialer Phobie und sozialer Vorsicht, Ängstlichkeit und Schüchternheit zu machen. Obwohl unsere Gesellschaft derartige Persönlichkeitseigenschaften eher geringschätzt, sind sie sehr wertvoll und können genauso gut Bestandteil eines seelisch gesunden Lebens sein wie ihre Gegenteile. Störungs- oder gar Krankheitscharakter bekommt die soziale Ängstlichkeit erst dann, wenn sie ein hochgradiges Vermeidungsverhalten hervorbringt, wodurch der Person bedenkliche Nachteile entstehen. Zum Beispiel kann sie erheblich in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt sein und vereinsamen. Dann liegt auch die Kompensation der Beziehungsdefizite durch Suchtverhalten nahe und es kommt leicht zu depressiven Reaktionen. Solche Probleme können umgekehrt auch sozialen Rückzug erst verursachen, aber wenn eine Soziale Phobie zum Gesamtbild der Störungen gehört, steht sie meist am Anfang der Problematik.

 

Die Kernsymptomatik Sozialer Phobien besteht darin, dass die Betroffenen Horrorvorstellungen ihrer Wirkung auf das soziale Umfeld haben. Sie befürchten, sich durch soziale Inkompetenz völlig unmöglich zu machen und dann von ihren Mitmenschen auch entsprechend behandelt zu werden. Subjektiv macht sich die Angst bei ihnen durch körperliche Symptome wie Schwitzen und Herzrasen bemerkbar. Wenn sich das sehr stark mit katastrophisierenden Gedanken verbindet, kann es auch zu Panikattacken führen.

 

Was kann man bei einer akuten Sozialen Phobie für sich selbst tun?

Wie bei Angststörungen grundsätzlich geht es auch hier um die Doppelstrategie, einerseits genau das zu tun, was die Angst unbedingt vermeiden will, dabei aber diese Mutproben so zu dosieren, dass die Wahrscheinlichkeit von Erfolgserlebnissen hoch genug ist. Andererseits ist den Betroffenen zu raten, sich kritisch ihren Angstfantasien zu stellen und sie auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen. Was kann denn im schlimmsten Fall tatsächlich passieren und wie wahrscheinlich ist das eigentlich? Welche Möglichkeiten der Bewältigung stehen ihnen auch dann noch zur Verfügung, wenn die Erfahrungen unangenehm sind?

 

Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen beistehen?

Entscheidende Hilfen für die Betroffenen liegen darin, dass sie

 

→ mit ihrer Angst ernstgenommen werden,

→ keinen Veränderungsdruck, sondern beständige Wertschätzung und Akzeptanz erfahren,

→  viel ehrlich anerkennende Rückmeldungen bekommen,

→ darin unterstützt werden, ihre unrealistischen Vorstellungen sozialer Blamagen der Wirklichkeit anzupassen,

→ und dass ihre eigene Tendenz zur sozialen Isolation nicht damit beantwortet wird, den Kontakt zu ihnen zu vernachlässigen.

 

Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe und worin kann sie bestehen?

Psychotherapie ist zu empfehlen, wenn die Symptomatik wirklich auf eine Soziale Phobie hinweist. Hauptkriterium dafür sind die erwähnten starken Einschränkungen. Weil die Doppelstrategie der Verhaltensveränderung, die zu notwendigen Erfolgserlebnissen führt, und der gedanklichen (d. h. kognitiven) Veränderung mit dem Ziel realitätsgerechterer Einschätzung der angstbesetzten Situationen das Hauptelement der Bewältigung bildet, ist die Kognitive Verhaltenstherapie die Methode der Wahl, weil sie (wie bereits der Name sagt) genau diese beiden Aspekte fokussiert. Unterstützend, aber nicht hinreichend zur Behandlung, können Antidepressiva helfen. Kurzfristig können bei schweren Belastungszuständen auch Benzodiazepine verschrieben werden. Therapeutisch hoch wirksame Hilfen sind ferner Entspannungs- und Sozialkompetenztrainings.

Dr. Hans-Arved Willberg

Jahrgang 1955, ist Theologe, Philosoph sowie Sozial- und Verhaltenswissenschaftler. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht.  

 

www.life-consult.org

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