MINDO: Ein heilsamer Glaube, ein Glaube also, der wohltuende und heilende Impulse in unser Leben bringt – wie sieht der aus?

 

MARCO MICHALZIK: Ich denke, ein heilsamer Glaube ist ein Glaube, der zu Freiheit und Mündigkeit führt. Wo das Gefühl und Erleben von Annahme echt und nicht an Bedingungen oder Verhaltensweisen geknüpft ist. Ein Glaube, der keine Angst vor Fragen und Zweifeln hat und sich auch verändern darf. Ein Glaube als Ausdruck meiner Sehnsucht und Hoffnung, der nicht beschämt und Schuld einredet, sondern zu Nächstenliebe und Empathie anstiftet.

 

 

Ist der Wunsch, dass Glaube vor allem auch uns guttun muss, dem heutigen Zeitgeist geschuldet – oder ist das biblische Wahrheit?

 

MARCO MICHALZIK: Da fängt’s für mich schon an. Ich möchte mich gar nicht hinstellen und beurteilen, was genau biblische Wahrheit ist und was nicht, oder jemandem etwas absprechen, der vielleicht zu anderen Schlüssen kommt.

 

Ich lese die Bibel so, dass Gott Liebe ist und für uns ist. Dass Gnade sehr viel geräumiger ist, als ich es mir vorstellen kann. Und ausgehend von diesem Gottesbild ist es für mich unvorstellbar, dass das Ausleben dieser Gottesbeziehung – sei es im eigenen oder im kollektiven Ausdruck – verletzen und unfrei machen sollte. Oder ganz pragmatisch gesagt: Ein Glaube, der mir nicht guttut, deckt sich einfach nicht mit meinem Gottesbild. Damit meine ich überhaupt nicht einen Glauben durch den immer alles leicht und happy-clappy ist, sondern einen, der mich frei und mutig sein lässt und der mich gerade in Zeiten, wenn es hart auf hart kommt, noch einen Hoffnungsschimmer sehen lässt.

 

 

Welche ungesunden, ja vielleicht sogar krankmachenden Glaubenssätze und Gottesbilder, die Menschen mit sich herumtragen, sind denn deiner Beobachtung nach am weitesten verbreitet?

 

MARCO MICHALZIK: Ich bin mit diesem „Pass-auf-kleines-Auge-was-du-siehst!“-Gott aufgewachsen. Das ist ein Gottesbild, das Angst macht. Das über Verbote kommt und Strafe in Aussicht stellt, wenn ich etwas tue, das diesem Gott nicht gefällt. Einem Gott, der mit der Hölle droht. Einem Gott, dessen Hilfsbereitschaft von der Intensität meiner Gebete abhängt. Einem Gott, der die Macht hätte Leid zu verhindern, aber offensichtlich nicht will. Einem Gott, der einen Plan für jedes Leben hat, diesen aber unter Verschluss hält, bis man ihn so lange bestürmt, dass er zumindest vage Andeutungen macht. Und einem Gott, der natürlich seinen Segen entzieht, wenn man diese kryptischen Andeutungen falsch interpretiert hat.

 

Von Gott zu reden, funktioniert ohnehin ja nahezu nur in Bildsprache. Und jedes Bild ist unvollständig und hat seine Vor- und Nachteile. Ich glaube, es ist in Ordnung diese Bilder zu betrachten und sie als Bilder wahrzunehmen. Und uns dann auch die Freiheit zu erlauben, hin und wieder ein Bild abzuhängen oder ein neues danebenzuhängen. Oder auch mal alle abzuhängen und die Wand mal für eine Weile weiß zu lassen.

 

 

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Nun werfen manche Kritiker dem christlichen Glauben vor, dass er nicht heilsam sei, sondern im Gegenteil: dass er Menschen unfrei mache und manchmal sogar krank. Was entgegnest du darauf?

 

MARCO MICHALZIK: Zunächst mal würde ich ihnen da durchaus zustimmen. Das ist nicht von der Hand zu weisen und das habe ich selbst auch so erlebt. Ich glaube, wenn Menschen meinen, für Gott zu sprechen und anderen erklären wollen, was und wie sie zu glauben und zu leben haben, wird das oft ganz schnell problematisch und übergriffig. Dann hat das auch oft noch mit Macht und Einfluss zu tun. Ich glaube aber auch, dass es weniger an der christlichen Botschaft oder dem Glauben an sich liegt, als vielmehr an den menschengemachten Systemen, die diesen Glauben verkörpern und gewissermaßen „verwalten“.

Mich von bestimmten Formen zu lösen und zu entdecken, dass die christliche Spiritualität ein weites Feld ist, das sehr viel Freiheit und Schönheit beinhaltet, habe ich als sehr befreiend erlebt.

Wenn nun jemand bemerkt, dass sein Glaube ihn in der Tat mehr verletzt, als dass er ihn heil macht – was rätst du?

 

MARCO MICHALZIK: Da würde ich ganz pragmatisch sagen: „Wenn es dir nicht guttut und dich sogar verletzt, dann setz dich dem nicht länger aus!“ Das ist leichter gesagt als getan, das weiß ich aus Erfahrung. Ich finde, das Leben ist oft schon anstrengend und kompliziert genug, und wenn ein wie auch immer gearteter Glaube mir noch mehr auflädt, dann weiß ich nicht, wofür er gut sein soll.

 

Ich habe für mich immer stark unterschieden zwischen dem, was ich glaube, und der Form, den Intuitionen oder dem System, in dem ich meinen Glauben auslebe. Klar hat auch mein persönlicher Glaube sich mit der Zeit verändert. Aber worunter ich vor allem gelitten habe, waren eben bestimmte Formen, die ich als eng und unfrei empfunden habe. Sich davon zu lösen und zu entdecken, dass diese Formen nicht alternativlos sind und die christliche Spiritualität ein weites Feld ist, das sehr viel Freiheit und Schönheit beinhaltet, habe ich als sehr befreiend erlebt.

 

Ich kenne aber auch Menschen, die am Glauben an sich gelitten haben und da würde ich schon sagen, auch wenn es hart klingt: „Wenn es dir damit schlecht geht und du dich verletzt und beschämt fühlst, dann geh da raus! Vielleicht ist das ist das so in dieser Form und zu dieser Zeit nichts für dich.“

 

 

Was kann jeder selbst dazu tun, dass sein Glaube wahrhaftiger wird und im wahrsten Sinne des Wortes „Heil bringend“ für ihn und andere?

 

MARCO MICHALZIK: Ich denke, da tut eine gewisse Demut wirklich gut. Mal einen Schritt zurück zu machen und sich einzugestehen, dass ich nicht alles weiß und dass ich Gott nicht besitzen und in Schubladen packen kann. Und da finde ich Jesus nach wie vor sehr inspirierend. Wie er Menschen begegnete, was er sagte, was er tat, was er nicht tat, wie er überraschte und gerade auch Systeme anprangerte, die unfrei und kaputtmachen. Also unterm Strich vielleicht so etwas wie „Demut + Liebe“. Für mich selbst. Für andere. In alle Richtungen.

 

 

Und zuletzt: In welchem Bereich deines Lebens hat der Glaube dich ganz persönlich heiler gemacht?

 

MARCO MICHALZIK: Da bin ich selbst noch auf dem Weg. Ich musste erst mal reflektieren und sortieren, was mich verletzt und geprägt hat auf meiner Glaubensreise. Ich bin oft ein großer Zweifler. Und ich finde es unheimlich befreiend, nicht alles verstehen und beantworten zu müssen. Zu vielem habe ich so meine Fragezeichen. Ich komme aber immer wieder zu diesem kleinen Drei-Worte-Satz zurück: „Gott ist Liebe“. Das tröstet mich, das inspiriert mich und gibt mir Hoffnung. Manchmal zumindest. Am Ende des Tages ist Gnade vermutlich viel geräumiger, als ich es mir vorstellen kann. Und dazu Menschen zu begegnen, die sich von dieser Liebe anstiften lassen und selbstlos für andere aufstehen und sich einsetzen und das Ganze anfassbar und erlebbar machen.

 

Vielen Dank, dass du dir Zeit für unsere Fragen genommen hast.

 

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

 

 

MARCO MICHALZIK

ist ein deutschsprachiger Spoken Word-Künstler, Lyriker und Songwriter. Seine Texte erschienen auf zahlreichen Buch- und Musikveröffentlichungen. Mit dem Musiker und Produzenten Manuel Steinhoff entwickelte er das Projekt #poetrymeetsbeats – eine Symbiose aus gesprochenen Texten und live gespielten elektronischen Beats. Gemeinsam mit dem Musiker JONNES hostet er den Podcast „Art & Weise“ und ist Workshopreferent für Themen wie Kreatives Schreiben, Spoken Word und Spiritualität. Gerade ist sein Lyrikband ALLES WIRD EIN BISSCHEN ANDERS  erschienen (Lektora Verlag).

 

Mehr unter: marcomichalzik.com

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