Damit unsere Psyche Krisen und Veränderungen abfedern kann, braucht sie wie unser Körper eine gesunde Immunabwehr. Die Psychologie nennt diese inneren Widerstandskräfte „Resilienz“. Die Fähigkeit zur Resilienz umfasst neun Faktoren, die jeder Mensch ausbauen und trainieren kann. Entdecken Sie in dieser Folge Baustein Nr. 5: Selbstfürsorge.

 

 

In seinen Abschiedsworten an die Leiter der Gemeinde in Ephesus weist der Apostel Paulus auf eine doppelte Herausforderung hin: „Von jetzt an müsst ihr auf euch selbst achten und auf die ganze Gemeinde, für die euch der Heilige Geist als Hirten einsetzte“ (Apostelgeschichte 20,28, Hfa). Jeder von uns bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der Sorge um sein persönliches Leben und der Verantwortung für andere Menschen. Paulus wusste: Nur wer auf die eigenen Bedürfnisse achtet, kann sich dauerhaft auch auf die Bedürfnisse anderer einlassen.

 

Nächstenliebe setzt Selbstliebe voraus. Wenn wir nur nach außen gerichtet agieren und die Menschen unserer Umgebung im Blick haben, aber unsere eigene Bedürftigkeit übergehen, drohen wir auszubrennen. Deshalb kommt es auf die gesunde Balance zwischen Eigen- und Fremdfürsorge an. Resiliente Menschen besitzen die Fähigkeit, gut für sich selbst zu sorgen, sich selbst zu behaupten und sich auch selbst zu verwöhnen.

 

 

Weil du es wert bist

Mit welchem Menschen verbringen wir die meiste Zeit unseres Lebens? Ein Blick in den Spiegel verrät die Antwort. Gerade weil wir lebenslang in unserer Haut stecken, haben wir die Verantwortung, gut auf uns zu achten und für unser Wohlergehen zu sorgen. Kein anderer kann und wird diese Aufgabe übernehmen.

Dabei gilt es mit einem gängigen Missverständnis aufzuräumen: Wer liebevoll auf die eigenen körperlichen und seelischen Bedürfnisse achtet, befindet sich nicht auf einem selbstsüchtigen Egotrip, sondern setzt das Gebot zur Selbstliebe in seine tägliche Lebenspraxis um. Selbstverantwortung und Selbstsorge gründen auf liebevoller Selbstannahme. Wer sich nicht annehmen kann, gerät in Abhängigkeit von der Annahme oder Ablehnung durch andere.

 

Wer liebevoll auf die eigenen Bedürfnisse achtet, befindet sich nicht auf einem Egotrip, sondern setzt das Gebot zur Selbstliebe um.

Sich selbst wohlwollend begegnen, eigene Bedürfnisse und Gefühle realistisch wahrnehmen, sich selbst ernstnehmen und respektieren, bleibt die zentrale und lebenslange Aufgabe für jeden Einzelnen. Selbstfürsorge beugt körperlichen und psychischen Erkrankungen vor. Indem ich für meine Person Sorge trage, danach schaue, was mir gut tut und mir die nötige Energie für den Alltag verleiht, wirke ich einer schleichenden Erschöpfung und depressiven Stimmungen entgegen. Selbstfürsorge lässt sich am Beispiel einer Pflanze illustrieren: Wenn sie regelmäßig gegossen und gedüngt wird, dazu genügend Licht bekommt, wächst und gedeiht sie. Wie die Pflanze, benötigen auch wir eine ausreichende Alltags-Selbstfürsorge. Zweimal im Jahr gießen reicht der Pflanze genauso wenig, wie uns zwei Urlaube im Jahr.

 

 

Die 5 Ebenen der Selbstfürsorge

Selbstfürsorge geschieht auf fünf Ebenen:

 

Körperlich: Ich achte auf einen gesunden Lebensstil und bin es mir wert, auszuruhen und zu entspannen, mich ausreichend zu bewegen und zur Vorsorge zu gehen. Ich höre auf meine körperlichen Signale und sorge für meinen Körper. Paulus nennt den Körper einen „Tempel des Heiligen Geistes“ (1. Korinther 6,19) und lädt zu einem achtsamen Umgang mit ihm ein.

 

Emotional: Ich betrachte meine Gefühle als meine Freunde, die wichtige Botschaften an mich senden. Ängste weisen mich zum Beispiel auf Gefahren hin. Trauer hilft, Verluste zu bewältigen, Freude zeigt, wofür ich das Leben feiern kann. Ärger führt mir vor Augen, wo andere meine Grenzen überschritten haben. Gefühle darf ich zeigen und ausleben. Die Autoren der alttestamentlichen Psalmen beispielsweise bringen die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen vor Gott zur Sprache.

 

Intellektuell: Ich gebe meinem Hirn Futter durch anregende Gespräche, inspirierende Bücher oder eine Weiterbildung. Negative Gedanken wie „Andere sind besser als ich“, überwinde ich durch positive Wahrheiten: „Ich bin einmalig und muss mich nicht mit anderen vergleichen!“ Die Lektüre der Bibel und inspirierende theologische Literatur, Predigten und Seminare halten Hirn und Herz in Bewegung.

 

Sozial: Beziehungspflege rückt in meinen Fokus. Ich investiere Zeit und Ideen in Menschen, die mir nahestehen und mir guttun. Ich gehe neugierig auf andere zu. Zwischenmenschliche Konflikte spreche ich an, um belastende Gefühle zu überwinden. Ich sage anderen Menschen, was ich will und was ich nicht will, damit sie meine Bedürfnisse kennen und respektieren können. Biblische Leitlinien wie „Urteilt nicht über andere“ (Matthäus 7,1), „Einer achte den anderen höher als sich selbst“ (Philipper 2,3), „Vergebt einer dem anderen“ (Epheser 4,23) zielen auf eine Weiterentwicklung meiner Beziehungskompetenz ab.

 

Spirituell: Ich stelle mir grundlegende Fragen über den Sinn meines Lebens. Was sind meine Grundwerte? Woran glaube ich? Was gibt mir Hoffnung? Dabei komme ich mit meinen Sehnsüchten und Träumen in Berührung. Ich gehe der Stimme meines Herzens nach. Zur Selbstfürsorge gehört auch, die Verantwortung für meine geistliche Weiterentwicklung zu übernehmen und sie nicht an einen Pastor oder eine Gemeinde zu delegieren. Nicht andere sind für mein geistliches Leben zuständig. Meine Eigeninitiative ist gefordert, um in meiner Beziehung zu Gott zu wachsen.

 

 

Jesus als Vorbild

Im Leben von Jesus finden sich alle fünf Ebenen der Selbstfürsorge wieder. Sein Vorbild fordert mich heraus. Meine Selbstfürsorge beginnt damit, über meine Selbstfürsorge nachzudenken.

 

ÜBUNG: Selbstfürsorge bedeutet, dass ich mich in meinen unterschiedlichen Bedürfnissen wahrnehme und ernst nehme und dafür eintrete, auch von anderen respektiert zu werden. So bin ich es beispielsweise wert, mich gesund zu ernähren oder von meinen Arbeitskollegen höflich behandelt zu werden.

Welche zehn Wertschätzungen für die eigene Person fallen Ihnen spontan ein? Listen Sie dazu zehn Leitsätze für sich auf, die mit „Ich bin es mir wert, dass …“ beginnen. Anschließend denken Sie einen Moment darüber nach, wie schwer oder leicht Ihnen diese Übung gefallen ist. Führen Sie sich vor Augen, wie wichtig es ist, an Ihre Überzeugungen zu glauben, um sie im Alltag umzusetzen.

 

 

GEBET: „Vater im Himmel, ich staune über die vielen Facetten deiner Fürsorge in meinem Leben. Du schenkst mir das tägliche Brot, tragfähige Beziehungen und vertraust mir Begabungen an. Du sorgst wirklich gut für mich. Ich merke, dass ich in manchen Situationen und Lebensbereichen ziemlich lieblos mit mir umgehe. In Gedanken werte ich mich dann ab oder vernachlässige wichtige Bedürfnisse, die ich habe. Hilf mir bitte dabei, eine fürsorgliche Haltung mir selbst gegenüber zu entwickeln. Ich möchte mehr für mich da sein, um dann auch für andere da sein zu können. Lass mich von Jesus lernen, meine Grenzen zu achten, meine Beziehung zu dir zu pflegen, aber auch meine Gefühle wohlwollend wahrzunehmen und sie auch zu zeigen. Ich danke dir, dass du mir zeigst, wie ich mich als einen Menschen respektieren lerne, den du einmalig und liebenswert gemacht hast. Amen.“

 

Matthias Hipler

betreibt eine Praxis für Psychotherapie, Paartherapie und Coaching in Hanau.

 

www.psychotherapie-hipler.de

 

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