Schon als junges Mädchen weiß Anna Koppri eins ganz sicher: Sie will einmal Mutter werden. Umso härter trifft es sie und ihren Mann, als sie ihre ersten beiden Schwangerschaften verliert. Nach Jahren der Kinderlosigkeit ist sie heute Mama zweier Jungs. Auf dem Hintergrund ihres eigenen Erlebens hat sie mit „WIR – MIT ODER OHNE WUNSCHKINDvor kurzem ein Buch zum Thema veröffentlicht. Darin erzählen neben ihr viele weitere Paare von ihren Erfahrungen rund um das Thema Kinderwunsch. Nicole Sturm hat für MINDO mit Anna Koppri gesprochen.

 

 

MINDO: Frau Koppri, Sie hatten schon früh den Wunsch, einmal Mutter zu werden. Als Sie und Ihr Mann dann Eltern werden wollten, es aber nicht klappte – was war in dieser Zeit die größte Herausforderung?

 

KOPPRI: Am schwierigsten war es, nicht zu wissen, ob ich jemals ein leibliches Kind bekommen würde. Außerdem habe ich mich komplett auf den Mangel in meinem Leben fokussiert. Ich konnte wenig wahrnehmen, was mein Leben in dieser Zeit erfüllte. Ich bin gedanklich ständig darum gekreist, dass ich unbedingt ein Kind möchte – und dass es Monat für Monat nicht kam!

 

 

MINDO: Was war das Hilfreichste, das Menschen in diese Situation hinein gesagt oder getan haben?

 

KOPPRI: Wenn sie mir von sich erzählt haben und ich das Gefühl hatte: Da gibt es jemanden, der mich versteht! Dem es vielleicht so ähnlich ging oder der auch ein Kind verloren hat und durch diese Gefühlswelten gegangen ist. Denn von Menschen, die das selbst nicht kennen, ist es superschwer, in solchen Zeiten irgendeinen Rat oder sonst irgendetwas Gutgemeintes anzunehmen. Jeder möchte dir eine Geschichte erzählen von jemandem, den er kennt, der doch noch schwanger geworden ist. Diese Geschichten machen einen in dem Moment aber eigentlich nur hilflos und wütend. Sie helfen wenig weiter, auch wenn sie nett gemeint sind.

 

Ich glaube, am hilfreichsten bei jeder Art von Leid ist es, wenn Menschen nicht versuchen, einem das abzuerkennen oder drüber zu wischen und zu sagen: „Das wird schon!“ Sondern zu sagen: „Ich kann es nicht nachempfinden, aber das muss echt hart sein!“ Wenn anerkannt wird, dass es einem gerade nicht gutgeht.

 

 

MINDO: Gab es noch andere Situationen, wo Sie gemerkt haben: Das ist sicher lieb gemeint, aber es hilft mir leider nicht weiter?

 

KOPPRI: Der Klassiker ist, dass Leute sagen, man müsse sich nur entspannen oder mal in den Urlaub fahren, dann würde das schon. Das funktioniert einfach nicht in der Situation. Heute, im Nachhinein, würde ich sagen: Ja, grundsätzlich kann ich da mitgehen. Denn sobald man innerlich ein Stück weit loslassen kann, ist es sicher auch einfacher, einer Schwangerschaft überhaupt Raum zu geben. Aber gerade dieses Loslassen ist in der Situation fast unmöglich, man kann es nicht erzwingen.

 

 

MINDO: Sie sind Christin. Inwiefern hat der Glaube Ihnen in dieser Zeit geholfen – und wo haben Sie vielleicht mit Gott gerungen?

 

KOPPRI: Ich habe meinen Glauben in dieser Phase sehr stark hinterfragt und ein Stück weit mit Glaubenssätzen aufgeräumt, die ich noch aus meiner Kindheit hatte. Ich habe intensiv darüber nachgedacht, was ich eigentlich selber glaube. Was mir sehr gutgetan hat, weil ich dadurch einen Glauben gefunden habe, der mir entspricht.

Ich habe nie dieses Grundvertrauen verloren, dass ich nicht willkürlich auf die Welt geworfen bin, sondern dass Gott auf jeden Fall da ist und etwas Gutes für mich im Sinn hat.

Bei allem habe ich aber so gut wie nie dieses Grundvertrauen verloren, dass alles doch irgendwie einen Sinn hat. Dass ich nicht willkürlich auf die Welt geworfen bin und hier alleingelassen werde und gucken muss, wie ich klarkomme. Sondern dass Gott auf jeden Fall da ist, mit mir in Verbindung ist und mich begleitet. Und dass er auch dann etwas Gutes für mich im Sinn hat, wenn ich das nicht empfinden kann. Klar gab es Situationen, zum Beispiel als ich die zweite Schwangerschaft verloren habe, wo ich gedacht habe: „Was soll das? Mit so einem Gott will ich nichts zu tun haben, der Leben schafft, das nicht lebensfähig ist oder gleich wieder stirbt!“ Aber das waren nur Phasen. Meistens hat dieses Sich-doch-irgendwie-getragen-Wissen angehalten, mir durch schwierige Zeiten geholfen und Hoffnung gegeben.

 

 

MINDO: Gibt es Dinge, die Mitchristen gesagt haben, die besonders positiv oder aber negativ hängengeblieben sind?

 

KOPPRI: „Wir beten für dich!“, habe ich oft gehört. Einerseits war ich dafür dankbar, andererseits habe ich irgendwann gesagt: „Du kannst jetzt aufhören zu beten. Es hilft irgendwie nicht.“ Ich glaube, das ist für viele Christen schwer auszuhalten: Wir glauben, dass Gott möchte, dass es uns gutgeht – und dann passiert doch irgendwie nicht, worum wir ihn bitten. Da werden dann gerne Bibelverse zu Rate gezogen oder es gibt gut gemeinte Vertröstungen nach dem Motto „Es wird alles seinen Sinn haben“. Das möchte man in dem Moment aber nicht hören! In dem Moment möchte man ernstgenommen werden, und dass der Schmerz mit einem gemeinsam getragen, und ausgehalten wird, dass man Gott gerade nicht versteht.

 

 

MINDO: Würden Sie sagen, dass die christliche Gemeinde ein Ort ist, an dem Themen wie unerfüllter Kinderwunsch, Fehlgeburten oder auch alternative Lebensentwürfe ohne Kinder Platz haben?

 

KOPPRI: Das ist einer der Gründe, warum mir das Buch, das ich geschrieben habe, so am Herzen liegt: Ich wünsche mir, dass es auch von Menschen gelesen wird, die das Gemeindeleben mitgestalten und selber nicht betroffen sind. Dass sie für dieses Thema sensibilisiert werden. Von Gemeinden kommt oft das Feedback, bei ihnen gäbe es das Problem „Unfruchtbarkeit“ nicht. Das kann laut Statistik aber nicht sein, weil mindestens jedes zehnte Paar in Deutschland ungewollt kinderlos bleibt, manche Statistiken gehen sogar von jedem sechsten Paar aus.

 

Ich glaube, gerade die Gemeinde ist ein sehr herausfordernder Ort für Menschen, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen können, weil es dort augenscheinlich so viele glückliche Familien gibt. Und weil dort generell noch sehr das Ideal hochgehalten wird, dass Menschen, die heiraten, dann auch eine Familie gründen. Das wird quasi vorausgesetzt.

 

Wenn sich dort jemand öffnet, der von Kinderlosigkeit betroffen ist, wird manchmal leider einfach drüber gewischt. Ein anderes schwieriges Beispiel ist der Muttertag: In vielen Gemeinden ist es üblich, dass an diesem Tag alle Mütter eine Rose überreicht bekommen. Es macht sich offenbar niemand klar, dass einige Frauen in den Reihen sitzen, die seit Jahren nichts stärker herbeisehnen, als auch Mutter zu sein.

 

Die Bibel bietet zu dem Thema ja jede Menge Stoff an. Zur damaligen Zeit war das natürlich noch viel existenzieller, weil die Frau quasi nur dazu da war, um Kinder zu kriegen und sich um die Familie zu kümmern. Heute kann man genauso gut Karriere machen, wenn man sich selbst verwirklichen möchte. Ich würde mir wünschen, dass man nicht nur über die biblischen Geschichten redet, in denen es um Kinderlosigkeit geht, sondern das Thema in die heutige Zeit überträgt und darüber spricht, wie es betroffenen Paaren in Gemeinden geht. Und dann vielleicht Räume schafft, wo Menschen sich austauschen und gegenseitig unterstützen können.

 

 

MINDO: Was sollte wirklich jeder über das Thema „Unerfüllter Kinderwunsch“ wissen?

 

KOPPRI: Was grundsätzlich sehr wichtig ist, ist, dass ab 30 die Fruchtbarkeit sehr stark abnimmt, vor allem bei Frauen. Wenn man sich Kinder wünscht, sollte man das auf jeden Fall mit im Blick haben. Bei vielen wird Nachwuchs ja erst in den Dreißigern zum Thema, wenn man eine gewisse berufliche Position erreicht oder Sicherheiten geschaffen hat. Dann kann es bei manchen rein biologisch leider schon schwierig sein.

 

Ansonsten ist es so, dass man mit Fragen wie „Und? Wann kriegt ihr Kinder?“ oder „Warum habt ihr denn noch keine?“ immer in ein Fettnäpfchen treten kann. Und manchmal kommen leider sogar Sprüche wie: „Du willst wohl nur Karriere machen!“

Man sollte grundsätzlich bei dem Thema vorsichtig sein. Stattdessen könnte man vielleicht fragen: „Wünscht ihr euch Kinder?“ Und dann abwarten, wie die Reaktion ist, und Raum dafür schaffen, dass das Gegenüber auch sagen kann: „Ja, wir wünschen uns welche, aber es klappt nicht.“

Viele Frauen haben das Gefühl, dass sie möglichst schnell wieder funktionieren müssten.

Wie ich bereits sagte: Statistisch ist hierzulande mindestens jedes zehnte Paar ungewollt kinderlos und bleibt es auch. Und ungefähr jedes vierte Paar hat Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Dazu kommt die ganze Tortur, wenn man sich medizinisch helfen lässt. Das ist psychisch und körperlich total belastend, besonders für Frauen, die berufstätig sind. Man kann sich nicht krankschreiben lassen mit dem Befund, dass man eine künstliche Befruchtung durchführen lässt. Und das, obwohl man eine Vollnarkose bekommt und unter Umständen wirklich starke Symptome hat, auch durch die Hormone. Das alles zwingt Frauen oft dazu, auf der Arbeit nicht offen damit umzugehen und sich wegen etwas anderem krankschreiben zu lassen.

 

Hier fände ich es wichtig, dass es gesellschaftlich zu einem Durchbruch kommt und klar wird: Das Thema betrifft so viele Menschen, dass es da auch Regelungen geben muss, wie man auf der Arbeit offen damit umgehen kann. Und zwar ohne, dass andere hinter dem Rücken reden oder man so tun muss, als wäre nichts. Weil dieser Druck noch zu dem Stress hinzukommt, den man durch die Behandlungen und das Hoffen und Bangen sowieso schon hat. Viele haben das Gefühl, dass sie möglichst schnell wieder funktionieren müssten.

 

 

MINDO: Was möchten Sie Paaren mit auf den Weg geben, die vielleicht gerade jetzt verzweifelt darauf warten, Eltern zu werden?

 

KOPPRI: Für mich ist wirklich das größte Anliegen, dass sie nicht den gleichen Fehler machen wie ich: Mitunter Jahre ein Stück weit zu verschenken, weil der Fokus so stark auf dem Mangel liegt. Es ist wichtig in Gedanken nicht nur um das Thema zu kreisen und alles darauf auszurichten. Anstatt seine ganze Freizeit damit zu verbringen, im Internet zu den Stichworten „Fruchtbarkeit“ oder „Anzeichen für eine Schwangerschaft“ zu recherchieren, kann es sehr gut tun, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, zum Beispiel bei den christlichen Netzwerken „Hope“ oder Hannahs Initiative“. Dort kann man sich gegenseitig dabei helfen, auch in der Zeit des Wartens ein erfülltes Leben zu leben.

 

Ich würde mir wünschen, dass Paare das schaffen, notfalls auch mit seelsorgerlicher oder therapeutischer Hilfe. Man selbst ist oft so tief in sein Leiden verstrickt, dass man da alleine nicht mehr rauskommt, und es nicht schafft, seinen Blick auf das zu richten, was das Leben im Moment reich macht.

 

 

MINDO: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Das Interview führte Nicole Sturm.

 

 

Hier -> geht’s zur Buchbesprechung von „Wir – mit oder ohne Wunschkind“

 

 

Anna Koppri 

ist Sozialpädagogin, systemische Familientherapeutin und freie Autorin. Die 38-Jährige lebt mit ihrer Familie in Berlin. „Wir – mit oder ohne Wunschkind“ (Gerth Medien) ist ihr zweites Buch. Mehr unter www.annakoppri.de

 

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