„Es liegt so viel Schönheit darin, empfindsam zu sein“, sagt Debora Sommer, Theologin – und hochsensibel. Warum sie Hochsensibilität für eine Gabe hält, die Leben und Glauben bereichert, beschreibt sie in ihrem neuesten Buch, das diese Woche erschienen ist. Ein Auszug.

 

 

Viele Hochsensible haben ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem Körper und damit verbunden zu ihrem „Persönlichkeitshaus“. Sie lehnen ihr Äußeres, die intensive Reaktion ihres Körpers auf Umweltreize oder seelische Belastungen sowie gewisse Persönlichkeitseigenschaften ab. Vor allem dann, wenn sie dadurch anecken, auf Unverständnis oder gar Ablehnung stoßen, was sie zutiefst verletzt. All dies verstärkt die Tendenz, das Körperliche zu vernachlässigen und sich mehr auf das Geistige bzw. Geistliche zu besinnen.

 

Unser Körper als Tempel

Für Hochsensible ist es besonders wichtig zu erkennen, dass der Körper nicht bloß Mittel zum Zweck ist, sondern dass er eine eigene hohe Bestimmung hat und ihm entsprechende Aufmerksamkeit gebührt. In der Bibel wird der menschliche Körper mit einem Tempel verglichen – nicht als Zuhause einer göttlichen Seele, sondern als Wohnung des Heiligen Geistes (1. Korinther 6,19).

 

Gemäß Gottes Wort nimmt der Heilige Geist Wohnung im Herzen derjenigen, die Jesus Christus als Erlöser aufgenommen haben (nach Johannes 3,3 und Offenbarung 3,20), ihm nachfolgen und dadurch zu Gottes Söhnen und Töchtern werden. Als Tempel des Heiligen Geistes erfährt der menschliche Körper eine unglaubliche Aufwertung; eine Würdigung der physischen Existenz, die ihresgleichen sucht. Das Bild macht deutlich: Der menschliche Körper ist keine Bruchbude, sondern ein Bauwerk von ausgewiesener Erhabenheit, Schönheit und Heiligkeit. Und zwar deshalb, weil der lebendige Gott in seiner Erhabenheit, Schönheit und Heiligkeit im Menschen Wohnung nimmt. Damit ist auch eine große Verantwortung verbunden. Doch was zeichnet diesen Tempel aus und was lässt sich aus christlicher Sicht im Zusammenhang mit Hochsensibilität daraus ableiten? An dieser Stelle ein Blick auf drei Schwerpunkte:

 

1. Ort der Gottesbegegnung

Bereits im Alten Testament finden wir den Tempel als Ort der Gottesbegegnung und Gottesoffenbarung. Gott versprach Salomo, dass er für immer an diesem heiligen Ort wohnen werde (1. Könige 9,3). Doch was war mit seinem Versprechen, als der salomonische Tempel 586 v. Chr. durch die Babylonier zerstört wurde? Verständlich, dass es den Juden, die aus dem Exil zurückkehrten, so wichtig war, den Tempel wiederaufzubauen. Wo sonst konnten sie Gott begegnen?

 

Dass auch der zweite Tempel von Gott wieder als Wohnort angenommen wurde, zeigt sich zum Beispiel daran, dass der junge Jesus den Tempel als „Haus meines Vaters“ bezeichnete (Lukas 2,49). Gott hielt also weiter an seinem Versprechen, für immer im Tempel zu wohnen, fest – allerdings unter veränderten Vorzeichen. In Johannes 2,19–22 wird deutlich, dass Jesus selbst durch sein Sterben und Auferstehen zum neuen Tempel Gottes wurde, was eine ganz neue Qualität der Gottesbeziehung möglich machte. Nun durften Menschen zum ersten Mal in der Geschichte direkt mit dem lebendigen Gott in Verbindung treten – ohne priesterliche Mittelsperson!

 

Doch die „Umgestaltung“ des Tempels ging noch weiter. Als Jesus, der Tempel Gottes in Person, zu seinem Vater in den Himmel zurückkehrte, verschwand damit auch der Tempel, der an seinen Körper gebunden war. Aber das war nicht das Ende. Mit dem Kommen des Heiligen Geistes nahm der neutestamentliche Tempel eine doppelte Gestalt an: Einerseits findet er Ausdruck in der christlichen Gemeinschaft – und andererseits im Leben jedes einzelnen Christen, womit wir wieder beim Bild des Körpers angelangt sind: „Habt ihr denn vergessen, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Der Geist, den Gott euch gegeben hat, wohnt in euch, und ihr gehört nicht mehr euch selbst“ (1. Korinther 6,19).

 

Es gilt also in einem ersten Schritt zu erkennen, dass der menschliche Körper ein Ort der Gottesbegegnung ist. Mit unserem Körper können wir Gott begegnen: Vor ihm auf die Knie fallen. Unsere Hände zu ihm emporheben. Ihm dienen und vieles mehr.  Auf unseren Körper achtzugeben, ist folglich nicht bloß eine physische Angelegenheit, sondern auch eine geistliche!

 

2. Ort der Heiligkeit und Schönheit

Das Wort „Tempel“ stand ursprünglich für einen abgegrenzten, heiligen Platz. Und soll dementsprechend ein Ort der Reinheit und Schönheit sein. Laut Antje Gertrud Hofmann verfügen hochsensible Kinder interessanterweise über ein besonderes Körpergefühl in dieser Hinsicht: „Unser Körper ist der Tempel der Seele, und hochsensible Kinder legen besonderen Wert darauf, dass er entsprechend behandelt wird. Es kann ihr Wohlbefinden empfindlich stören, wenn sie mit schmutzigen Händen und fleckiger Kleidung herumlaufen müssen.“

 

Der menschliche Körper ist keine Bruchbude, sondern ein Bauwerk von ausgewiesener Erhabenheit, Schönheit und Heiligkeit.

Wenn ich in dem Bewusstsein lebe, dass mein Körper ein Tempel des lebendigen Gottes ist, kann dies nicht ohne Auswirkungen bleiben. Es ist nicht egal, wie ich mit meinem Körper umgehe und wie ich mich verhalte. Es ist nicht egal, was ich über meine hochsensiblen Sinne in mich hineinlasse. Ich bin dafür verantwortlich, dass der heilige Wohnort Gottes nicht beschmutzt oder entehrt wird.

 

Viel zu oft stellen Hochsensible (vor allem die introvertierten) eigene Bedürfnisse zurück, um es allen recht zu machen – um des Friedens und der Harmonie willen. Sie lassen andere auf ihren Gefühlen herumtrampeln, ohne sich zur Wehr zu setzen. Wenn die eigene Abwertung so weit fortgeschritten ist, dass sie nur noch ihre Schwächen und Defizite im Blick haben, kann es sogar an den Punkt kommen, dass eine hochsensible Person denkt, sie hätte dieses respektlose Verhalten von anderen nicht anders verdient. Solche Gedanken widersprechen allem, was uns das Bild des Körpers als Tempel des Heiligen Geistes zeigen will. Sie bewegen sich auf heiligem Gelände. Niemand hat das Recht, Sie zu verachten oder lieblos auf Ihren Gefühlen herumzutrampeln. Sie sind es wert, mit Respekt und Würde behandelt zu werden. Wo das nicht geschieht, sollten Sie Ihrem Gegenüber eine Grenze aufzeigen.

 

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Ihr Körper ein wunderschöner Tempel ist und wünsche Ihnen, dass Sie erkennen, wie wunderschön Sie sind – innen und außen. Und Sie mit David dankbar aussprechen lernen: „Ich danke dir dafür, dass ich so wunderbar erschaffen bin, es erfüllt mich mit Ehrfurcht. Ja, das habe ich erkannt: Deine Werke sind wunderbar!“ (Psalm 139,14). Es liegt so viel Schönheit darin, empfindsam zu sein. Sich Dinge tief zu Herzen zu nehmen. Gefühle von anderen wahrzunehmen und mit Feingefühl auf andere Menschen eingehen zu können.

 

 

3. Ort der Opfer und Hingabe

Wenn man im Alten Testament Texte rund um den Tempel liest, stößt man immer wieder auf detaillierte Beschreibungen von diversen Opferarten: Speis- und Trankopfer, Brandopfer, Schlachtopfer, Sünd- und Schuldopfer, Erstlingsopfer und andere. Ohne Blutvergießen war keine Sündenvergebung möglich (Hebräer 9,22). Durch das stellvertretende Opfer von Jesus Christus wurde diese Opferregelung außer Kraft gesetzt (Hebräer 9,11–14). Das Dankopfer und Lobopfer, von denen wir schon im Alten Testament lesen, sind jedoch auch im „neutestamentlichen Tempel“ willkommen. Mit aufrichtigem Herzen, aber ohne Blutvergießen.

 

Darüber hinaus werden im Neuen Testament weitere Opfer genannt: zum Beispiel Liebesdienste (Hebräer 13,16) oder die Hingabe des eigenen Lebens: „Ich habe euch vor Augen geführt, Geschwister, wie groß Gottes Erbarmen ist. Die einzige angemessene Antwort darauf ist die, dass ihr euch mit eurem ganzen Leben Gott zur Verfügung stellt und euch ihm als ein lebendiges und heiliges Opfer darbringt, an dem er Freude hat. Das ist der wahre Gottesdienst, und dazu fordere ich euch auf“ (Römer 12,1).Meinen Körper als Ort von Opfer und Hingabe zu verstehen, kann also ganz grundlegend bedeuten: Ich bin bereit, Gott unter Einsatz meiner Kräfte, meiner Zeit und meiner Begabungen zu dienen (allerdings ohne dabei Raubbau an mir zu betreiben!). Ich mache nicht mich und egoistische Bedürfnisse zum Mittelpunkt meines Lebens, sondern bin bereit, mich von Gott in Bewegung setzen zu lassen und ihn mit meinem Sein und Tun zu ehren. Vielleicht durch die praktische Veranlagung, mit meinen Händen Dinge für andere zu reparieren. Vielleicht durch Einsatz meiner Stimme, um anderen von Gott zu erzählen oder für ihn zu singen. Vielleicht, indem ich meine hochsensible Gabe einsetze, um Menschen zu massieren oder bei gesundheitlichen Problemen durch liebevolle Pflege Linderung zu verschaffen. Vielleicht, indem ich mit Kindern arbeite. Vielleicht, indem ich Schutt wegräume oder in einem Katastrophengebiet dabei helfe, unfassbare Not zu lindern. Indem ich anderen Menschen diene, diene ich Gott: „Ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert; ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht“, sagt Jesus in Matthäus 25,36.

Dass der lebendige Gott den menschlichen Körper zu seinem Zuhause machen will, übersteigt meinen Verstand und berührt mich zutiefst.

Auch im erwähnten Lobopfer steckt eine ganz besondere Kraft. Gott zu loben, in glücklichen Zeiten, in denen es uns gut geht und alles rund läuft, ist einfach. Viel zu schnell verstummen wir, wenn schwierige Phasen kommen, wenn wir Gottes Handeln nicht verstehen, wenn wir traurig oder entmutigt sind. Doch erst in solchen dunklen Momenten wird das Loben zu einem „Opfer“ – denn vorher ging es uns problemlos über die Lippen.

 

Begegnen Sie Ihrer Entmutigung mit einem Lobopfer! Denn Gott ist es wert, dass wir ihn auch in dunklen Stunden ehren. Er bleibt immer noch der allmächtige, souveräne und ewige Gott, der uns über alles liebt, auch wenn wir sein Handeln nicht verstehen. Als ich nach einer Rückenoperation in den Folgemonaten unter schrecklichen Schmerzen litt, konnte ich mich lange nicht überwinden, mich ans Klavier zu setzen, um ein Loblied zu singen. Jeden Tag ging ich x-mal am Klavier vorbei, aber rührte es nicht an. Meine innere Bitterkeit schien mich davon abhalten zu wollen. Doch dann kam der Moment, als ich mich nach Monaten zum ersten Mal wieder ans Klavier setzte, um „Desert Song“ (dt. „Wüstenlied“) von Hillsong zu singen. Ein Lied, das schwierige Lebenserfahrungen besingt, aber in dem es im Refrain darum geht, dass Gott trotz allem unser Lob gehört. Als ich den ersten Akkord auf dem Klavier spielte, war es, als ob sich in meinem Inneren Schleusen des Schmerzes, voll angestauter Trauer und Bitterkeit geöffnet hätten. Ich weinte minutenlang. Verhärtungen brachen auf und ließen Gott wieder mein Herz berühren. Ich habe schon oft erlebt, dass in einem Lobopfer eine geheimnisvolle Kraft liegt.

 

Dass der lebendige Gott den menschlichen Körper zu seinem Zuhause machen will, übersteigt meinen Verstand und berührt mich zutiefst. Was für eine Ehre, dass der Allmächtige in uns Wohnung nimmt. Und was für eine Verantwortung, uns dieser Ehre durch unser Denken und Handeln würdig zu erweisen!

IMPULSE ZUR PRAKTISCHEN VERTIEFUNG

 

ATEM: Besinnen Sie sich beim Atmen darauf, dass es Gottes Lebensatem ist, der seit der Erschaffung der ersten Menschen bis zu Ihnen und durch Sie hindurchfließt. Im bewussten und ruhigen Ein- und Ausatmen verbindet sich die göttliche Welt mit der menschlichen. Daher hat der Atem in vielen Gebetsformen eine besondere Bedeutung.

Die Tradition der orthodoxen Kirchen kennt seit Jahrhunderten das sogenannte Herzensgebet. Dabei wird zum Beispiel immer wieder der Name Jesus Christus ausgesprochen. „Jesus“ beim Ausatmen, „Christus“ beim Einatmen.

Sie leben durch Gottes Atem. Wenn Sie atmen, atmet Gott in Ihnen. Leben und von Gott durchströmt sein ist eins. Gott selbst schenkt Ihnen Atem und was zum Leben notwendig ist (Apostelgeschichte 17,25). Er will, dass Sie leben. Sie haben einen Auftrag zu erfüllen. Laut Jakobus 3,5–10 ist der Gottes-Atem auch mit Verantwortung verbunden. Denn wenn wir sprechen, sprechen wir mit Gottes Atem. Daher ist es nicht egal, welche Worte aus unserem Mund kommen. Versuchen Sie sich immer wieder an diese Verantwortung zu erinnern, indem Sie Ihre Worte bewusst wählen.

 

ERNÄHRUNG & BEWEGUNG: Überprüfen Sie selbstkritisch Ihr Ess- und Bewegungsverhalten. Schenken Sie Ihrem Körper in diesen zwei Bereichen genügend Aufmerksamkeit? Falls nicht, wo sind Änderungen erforderlich? Was möchten Sie konkret umsetzen und wie stellen Sie sicher, dass Sie nicht schon nach einer Woche wieder aufgeben? Gibt es eine Freundin/einen Freund, der diese Veränderungsprozesse mit Ihnen angehen könnte?

 

FASTEN: Freiwilliger (und angemessener) Verzicht auf Nahrung (oder auf anderes, zum Beispiel Social Media, Süßigkeiten, TV-Konsum, Alkohol etc.) kann maßgeblich zur Schärfung der Sinne beitragen. Wer für eine bestimmte Zeit auf etwas verzichtet, lernt es neu zu schätzen. Fasten soll keine Qual sein, sondern zu einem erfüllten, dankbaren und aufmerksamen Leben führen. Erinnern Sie sich im Fasten an den, der aus Liebe zu den Menschen freiwillig auf seine himmlischen Privilegien verzichtet hat. Empfangen Sie bewusst geistliche Stärkung aus Gottes Wort und dem Gebet.

 

SABBAT: Zelebrieren Sie den Sabbat (hier im weiteren Sinne verstanden) als heiligen Fest- und Ruhetag, der Ihnen von Gott geschenkt ist. Nehmen Sie sich ein Beispiel an der jüdischen Tradition und verzichten Sie einmal pro Woche 24 Stunden lang auf Arbeit und den Anspruch auf Erreichbarkeit. Gönnen Sie Ihrem Körper und Ihrer Seele eine stärkende Atempause. Legen Sie Ihr Handy zur Seite, lassen Sie den Computer und Fernseher ausgeschaltet. Machen Sie weder sauber noch Ihre Wäsche. Steigen Sie aus dem Hamsterrad der Betriebsamkeit aus und verbinden Sie sich auf besondere Weise mit dem, der diesen Tag als Ruhetag geheiligt und eingesetzt hat (2. Mose 20,11). Erinnern Sie sich daran, dass Sie nicht durch Ihre Leistung definiert sind, sondern durch Ihre Beziehung zum Schöpfer. Der Sabbat findet dort zur Erfüllung, wo er zur Begegnung mit dem Lebendigen wird und das alltägliche Leben durch die Berührung mit der unsichtbaren Welt in Perspektive gerückt wird.

 

SCHMERZ: Vielleicht erleben Sie gegenwärtig viel Schmerzliches (physischer oder psychischer Natur). Dann möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sogar der Schmerz ein Zugang zu Gott werden kann, wenn Sie bereit sind, sich darauf einzulassen. Mitten in Ihrer Schwachheit kommt Gottes Kraft zur vollen Auswirkung (2. Korinther 12,9). Im Schmerz offenbart er sich Ihnen als Mitleidender, Tröster, Ermutiger und Heiland.

 

SPORTEINHEITEN: Nehmen Sie sich Zeit für Sport und behalten Sie dabei im Hinterkopf, dass Ihr Köper ein Tempel des Heiligen Geistes ist. Dort, wo Sie sich an Ihren Grenzen bewegen, berühren Sie den Bereich des Metaphysischen.

Der Artikel ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus Debora Sommers neuestem Buch -> Mit allen Sinnen auf Empfang – Hochsensibilität als Gottesgeschenk und Auftrag“ (SCM Hänssler), das in dieser Woche erschienen ist. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.

Dr. Debora Sommer

studierte in der Schweiz und Südafrika Theologie, promovierte über Juliane von Krüdener und ist Studienleiterin Fernstudium am Theologischen Seminar St. Chrischona. Daneben arbeitet sie freiberuflich als Referentin und Autorin. Sie ist verheiratet, zweifache Mutter und lebt in der Schweiz. 

 

Mehr unter: www.deborasommer.com

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