MINDO: Frau Klug, tiefer sehen, Motive hinterfragen und Verhaltensmuster durchschauen – das klingt nach Arbeit und auch nach unbequemen Entdeckungen. Warum lohnt es sich trotzdem für jeden, nicht an der Oberfläche stehen zu bleiben, wenn es um die Entwicklung der eigenen Person und des Charakters geht?

 

MARION KLUG: Weil sich dadurch mein Horizont erweitert. Im Blick auf mich selbst und meine Beziehungen und auch in meiner Fähigkeit, anderen zu begegnen und ihnen zu helfen. Es hilft mir zu verstehen, mitzufühlen und barmherzig zu sein – und vor allem, Jesus ähnlicher zu werden.

 

 

Wie geht man eine Selbstreflexion, in der man nicht nur um sich kreist, sondern auch wirklich vorwärtskommt, am besten an? Kann man das selber bewerkstelligen oder muss jeder gleich zu einem Coach oder Therapeuten?

 

KLUG: Coaches und Therapeuten sind natürlich toll. Sie helfen, wenn ich feststecke, in einem Tief bin, oder auch orientierungslos. Auch wenn in der Vergangenheit traumatisierende Ereignisse geschehen sind, sind externe Berater hilfreich. Aber es muss nicht immer der Coach oder der Therapeut sein, auch die Bibel gibt guten Rat. Ebenso können Gespräche mit weisen und besonnenen Menschen viel bewirken. Gebet, gute Bücher zum Thema und eine grundlegende Ehrlichkeit mir selbst gegenüber ist wichtig. Ich muss mich auf das einlassen wollen, was ich bei mir wahrnehme und Veränderungen, die notwendig sind, dann auch wirklich angehen.

 

 

Coaching, Seelsorge oder Therapie: Was ist eigentlich für wen wann dran?

 

KLUG: Ein Coaching in Anspruch zu nehmen, kann in vielen Lebensbereichen hilfreich sein. Es ermutigt, mal in eine ganz andere Richtung zu denken und Neues zu wagen. Möglichkeiten und Lösungswege mit jemandem zu erarbeiten, der außerhalb der eigenen Box steht und neue Impulse einbringt, kann viel bewegen.

 

Seelsorge nehme ich in Anspruch, wenn es ein Problem gibt, bei dem ich Gottes Hilfe und sein Eingreifen brauche. Sünden erkennen und bekennen, wo ich schuldig geworden bin oder auch, wo ich verletzt wurde und wo ich vergeben muss. Was muss ich loslassen? Was sagt Gott mir an Verheißung zu? Was hat Jesus durch seinen Tod am Kreuz für mich erworben und was ist mir dadurch geschenkt? Wie kann ich Glauben praktizieren und darin leben? All das sind wichtige Fragen, die hier beantwortet werden.

 

Und Therapie brauche ich, wenn ich im Tief hänge, meine Gefühls- und Denkmuster so feste Schienen in meinem Leben sind, dass ich Hilfe brauche, um da wieder rauszukommen. Oder wenn ich in pathologischen Mustern lebe. Es gibt ja unterschiedliche Therapieformen –  Verhaltenstherapie, Traumatherapie, Gesprächstherapie, Gestalttherapie, Psychoanalyse. Was für mich das Richtige ist, muss ich erstmal herausfinden.

Wenn Jesus durch den Glauben in mir wohnt, vermag er Dinge in mir und für mich zu tun, die über Menschenkraft und -möglichkeiten hinausgehen.

Lange Zeit standen Psychologie und Religion ja eher auf Kriegsfuß miteinander. Das ist mittlerweile zum Glück weitgehend anders. Was kann Psychologie denn konkret vom Glauben lernen?

 

KLUG: Gott vergibt Sünden. Wenn Jesus durch den Glauben in mir wohnt, vermag er Dinge in mir und für mich zu tun, die über Menschenkraft und -möglichkeiten hinausgehen. Die bedingungslose Annahme, die Gott uns schenkt. Ich habe in Gott ein Gegenüber, das mich liebt. Egal, was war. Da ist jemand, der mich kennt, durchschaut, und immer eine Hoffnung und Zukunft für mich hat. Irgendwann darf ich dann wegsehen von mir, meiner Not, meinem Kummer, meinem Trauma, und vergeben, loslassen, zum Himmel sehen, und durch den Heiligen Geist befreit werden zur Freude.

 

 

Und wie profitiert Glaube umgekehrt von dem ehrlichen und tiefen Blick „hinter die Kulissen“?

 

KLUG: Was ist pathologisch? Was ist krank, wie ist das entstanden? Was ist geschehen? Und welche Prozesse geschehen in der Seele und im Körper? All das ist eine gute Sichtweise, die ich von ausgebildeten Therapeuten lernen kann.

 

 

Kann Selbstreflexion auch gefährlich werden?

 

KLUG: Ja, es gibt eine Neigung zur Selbstbespiegelung. Man kann sich selbst zum Maßstab aller Dinge zu machen. Sich nicht mehr in Relation zu anderen Menschen realistisch wahrzunehmen und jeden Rat und jede Reflexion auszuschlagen, kann gefährlich werden.

 

 

Der gute Ansatz, sich weiterentwickeln zu wollen als Mensch, im Job und sogar als Christ, kann auch schnell kippen. Wie schafft man es, der heute überall und permanent geforderten Selbstoptimierung eine Absage zu erteilen?

 

KLUG: Durch stille sein, in die Ruhe kommen, einen Anker haben, im Geist zu beten, Gottesdienste zu besuchen. Das Handy bewusst mal liegen lassen, durch den Wald gehen, sich auf Momente der Begegnung einlassen hilft uns, immer wieder den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Nüchtern bleiben, den Fernseher mal auslassen, Bücher lesen, sich selbst annehmen, mit allen Macken und Schwächen, und seinen Platz im Leben mit Liebe und Feuer im Herzen einnehmen. Das sind wichtige Schlüssel, die uns immer wieder erden und uns dabei helfen, bei uns zu bleiben.

 

Frau Klug, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Die Fragen stellte Inge Frantzen.

Marion Klug

Jg. 1960, geschieden, verwitwet, war Mutter und Hausfrau, Geschäftsfrau, Knigge-Trainerin, Trainerin „Schulfach Glück“, Konflikt- und Familienberaterin, heute Lehrerin Grundschule und Sekundarstufe I, Hochzeits- und Trauerrednerin, Veröffentlichungen im Lydia Verlag, Gerth Medien, Ullstein Verlag darüber, „wie das Leben ohne Partner weitergeht“.

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