Wenn man das Wort „Seelsorge“ buchstäblich auffasst, dann ist damit ganz allgemein die Sorge für die Seele gemeint. Coaching und vor allem Psychotherapie sind auch Formen der Sorge für die Seele. Insofern ist „Seelsorge“ der Oberbegriff, der die beiden andern einschließt. Aber obwohl die buchstäbliche Auffassung von Seelsorge als Sorge für die Seele eigentlich sinnvoll ist, herrscht sie nicht vor. Darum werden Seelsorge, Coaching und Psychotherapie ähnlich kompromisslos voneinander abgegrenzt wie Staaten: Auf beiden Seiten der Grenze mögen Verwandte wohnen. Aber trotzdem leben sie in scheinbar ganz verschiedenen Ländern. Besonders für die Unterscheidung der Psychotherapie von Coaching und Seelsorge handelt es sich dabei auch um eine rechtliche Grenze.
WAS IST EIGENTLICH SEELSORGE?
Seelsorge ist ein ziemlich neues Wort, das angeblich Martin Luther geprägt hat. Von dorther erhielt es auch die Bedeutung, die bis heute dominiert: Seelsorge wird meist als Hilfe bei Fragen und Problemen des Glaubens verstanden. Als die Fachleute dafür gelten in erster Linie Pfarrerinnen und Pfarrer. Wenn darum in den Medien von Seelsorgern die Rede ist, sind damit fast immer Geistliche gemeint. Die Worte „Pfarrer“ und „Seelsorger“ sind im allgemeinen Sprachgebrauch austauschbar.
Früher war die Lebenshilfe bei seelischen Problemen wie selbstverständlich Teil der Glaubenshilfe. Das lag daran, dass seelische Probleme grundsätzlich als spirituelle (geistliche) Probleme angesehen wurden. Das änderte sich erst zur Zeit der Aufklärung mit dem Aufkommen der Psychiatrie. Aus der Psychiatrie ging die moderne Psychotherapie hervor. Von ihrer Entstehung her kann man die Psychiatrie als eine Form der Seelenhilfe beschreiben, die davon ausgeht, dass die allermeisten Seelenprobleme keine geistliche Ursachen haben und vorrangig geistlichen Rat zu ihrer Bewältigung benötigen. Diese Erkenntnis wuchs in dem Maß, wie man die Eigendynamik psychischer Erkrankungen verstehen lernte, die Psychologie des Menschen und die Funktionsweise des Gehirns.
Wirklich neu war dieses Verständnis der Sorge für die Seele nicht, denn schon in der vorchristlichen Antike beschritt man diesen Weg. Dort hat auch das Wort „Psychotherapie“ seinen Ursprung, wenngleich es erst in der Neuzeit in den allgemeinen Sprachschatz einging. Es kommt aus dem Griechischen, heißt „Heilung der Seele“ und findet sich schon bei Platon. Neu an der neuzeitlichen Psychotherapie im christlichen Abendland ist aber, dass sie sich parallel zur bereits allumfassenden kirchlichen Seelsorge entwickelt hat und von Beginn an auch in Konkurrenz dazu. Die Seelsorge hat sich allmählich den Erkenntnissen und Methoden der Psychotherapie geöffnet und gelernt, vieles davon zu integrieren. In der Psychotherapie hingegen hat die Offenheit für die Integration der Spiritualität nur zögerlich eingesetzt. Erst seit wenigen Jahrzehnten hat sich das aufgrund der wissenschaftlichen Spiritualitätsforschung deutlich verstärkt.
Die Gleichsetzung von Seelsorge und Pfarramt ist der Sache nach nicht hilfreich. In den Großkirchen prägt sie noch das Gesamtbild der Seelsorge, in den Freikirchen weniger. Es sieht aber so aus, als würde das allgemeine Verständnis von Seelsorge zunehmend auch „Laien“ einbeziehen. Im Gesundheitswesen breitet sich seit einigen Jahren eine neue Seelsorgebewegung aus, in der die spirituellen Kompetenzen von Laien genauso ernstgenommen werden wie die von Theologinnen und Theologen. Man hat dieser Richtung den Namen „Spiritual Care“ gegeben.
Viele, die in Seelsorge und Spiritual Care als Theologinnen und Theologen oder als Laien tätig sind, eignen sich auch psychotherapeutische Kompetenzen an. Zum Teil richten sie eigene Beratungspraxen als Anlaufstellen für Personen ein, denen es wichtig ist, dass Lebens- und Glaubenshilfe nicht getrennt werden. Ihre Tätigkeit versehen sie mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Eine davon ist Life-Coaching.
WAS IST EIGENTLICH COACHING?
Ein Life-Coach ist, buchstäblich übersetzt, ein „Lebens-Trainer“. Das entspricht ganz gut dem Selbstverständnis weiter Teile der antiken Philosophen. Sie galten als Seelenärzte und Seelenführer. Das griechische Wort für „Seelenführer“ verwenden wir heute noch, wenn wir von der Psychagogik sprechen. Inhaltlich liegt der Begriff nah bei der Pädagogik. Pädagogik ist Psychagogik mit dem Schwerpunkt auf Kindern und Jugendlichen. Es geht darum, die Seele der Heranwachsenden und dann auch der Erwachsenen so zu führen, dass sie sich gesund entwickelt. Führen meint hier Begleiten und Anleiten.
Der Schwerpunkt der Psychotherapie liegt auf dem Heilen von psychischen Krankheiten. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Coaching. Dort geht es nicht vorrangig um Heilung, sondern um Training.
Es ist klar, dass auch die Psychotherapie viel Psychagogik einschließt, aber ihr Schwerpunkt liegt auf dem Heilen von psychischen Krankheiten. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Coaching. Da geht es nicht vorrangig um Heilung, sondern eben um Training. Aber ein gutes Training kann natürlich auch das Heilsamste zur Überwindung seelischer Probleme sein, vorausgesetzt, dass man überhaupt dazu in der Lage ist.
Bei Menschen mit ernsteren seelischen Störungen und Erkrankungen ist das aber oft nicht der Fall, wenigstens vorübergehend. Im Bild gesprochen: Wenn jemand Schwierigkeiten mit dem Gehen hat, wäre vielleicht ein Lauftraining optimal. Aber wenn er sich das Bein gebrochen hat, tritt dieses gute Ziel erst einmal weit in den Hintergrund. Kennzeichnend für akute psychische Erkrankungen ist, dass man, wie beim Beinbruch, erst einmal nicht mehr kann, was der gesunden Entwicklung gut tun würde. Darauf ist sinnvolle Therapie zwar ausgerichtet, aber sie fängt nicht unbedingt gleich damit an.
Coaching als Training ist also etwas für Personen, die genug Gesundes mitbringen, damit es gelingen kann. Coaching kann Aufbauhilfe nach schweren Krisen leisten oder auch stattfinden, wenn ein vorhandenes seelisches Leiden trotzdem genug gesunden Spielraum dafür gewährt. Aber Coaching ist kein Ersatz für Therapie.
Das Life-Coaching weist die größte Schnittfläche mit Seelsorge und Psychotherapie auf, bildet in der Coachingszene aber nicht den Schwerpunkt. Es geht dort hauptsächlich um berufliche Herausforderungen. Aber die Qualität eines Coachings für das Berufsleben hängt davon ab, wie weit es zugleich Psychagogik bleibt. Die gecoachte Person wird nachhaltig nur dann auf gesunde Weise im Beruf zurechtkommen, wenn ihre Berufstätigkeit in engem Zusammenhang mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung betrachtet wird. Sonst sorgt das Coaching nicht mehr für die Seele, sondern nur noch für das Funktionieren eines Rädchens im Getriebe. Somit hat das Coaching auch wieder sehr viel mit der Psychotherapie gemeinsam.
WAS IST EIGENTLICH PSYCHOTHERAPIE?
Wir haben es schon definiert: Das Hauptgebiet der Psychotherapie ist die Heilung von seelischen Erkrankungen. Dazu passt, dass die Psychotherapie aus der Psychiatrie als einem Fachbereich der Medizin hervorgegangen ist. Die Psychologie als Forschungs- und Anwendungsdisziplin für die Kenntnis seelischer Erkrankungen und ihrer Heilung ist jünger als die Psychiatrie. Das führte dazu, dass auch hier eine Parallelentwicklung stattgefunden hat: Nicht mehr nur die Medizin kümmerte sich jetzt um die seelischen Krankheiten, sondern auch die Psychologie. In der Psychotherapie konnten Psychologinnen und Psychologen zunächst nur im Schatten und in der Abhängigkeit von der Medizin arbeiten. Auf die Dauer wurde daraus ein untragbares Missverhältnis, weil es immer mehr Fachpersonen im Bereich der so genannten Klinischen Psychologie gab, die über die besten psychotherapeutischen Erkenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Aber erst Ende der 1990er-Jahre kam es durch das „Psychotherapeutengesetz“ zur überfälligen möglichen Gleichberechtigung von medizinischen und psychologischen Fachpersonen in der Psychotherapie. Für analog zu den Medizinern approbierte Psychologinnen und Psychologen wurde die Berufsbezeichnung „Psychologischer Psychotherapeut“ geschaffen. Deren Leistungen werden seither wie die medizinischen von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert.
Die Tatsache, dass die Psychotherapie per definitionem eine Tätigkeit im Rahmen der Heilkunde ist (das Fremdwort für „Heilkunde“ heißt „Medizin“), hat den Gesetzgeber seit jeher dazu veranlasst, das Terrain auch juristisch möglichst klar einzugrenzen, um zu verhindern, dass aufgrund mangelnder Fachkompetenz heilungsbedürftigen Menschen Schaden zugefügt wird. Aber wie für die Allgemeinmedizin wurde auch für die Psychotherapie eine juristische Alternative geschaffen, die es ermöglicht, mit Einschränkungen auch ohne medizinische oder psychotherapeutische Approbation im Bereich der Heilkunde zu arbeiten: das Heilpraktikergesetz.
Beim jeweils zuständigen Gesundheitsamt kann man sich einer Prüfung unterziehen, um zum Beispiel mit einer eigenen Praxis als Heilpraktiker für Psychotherapie arbeiten zu dürfen. Es ist dann nur wichtig, dass man sich nicht als Psychotherapeut bezeichnet, denn dieser Begriff ist rechtlich für die approbierten Psychologischen Psychotherapeuten reserviert.
Zur Vorbereitung für die Heilpraktikerprüfung in Psychotherapie wird erwartet, dass man in einem anerkannten Psychotherapieverfahren ausgebildet ist. Das können auch verschiedene Seelsorgeausbildungsgänge mit einem therapeutischen Schwerpunkt leisten, wie zum Beispiel mein Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) mit der Ausbildung in Achtsamkeitsbasierter Kognitiver Seelsorge und Therapie (AKST).

WOHIN MIT WELCHEM PROBLEM?
Seelsorge – Coaching – Psychotherapie: Wir haben jetzt sozusagen die Landkarte der drei Regionen mit ihren Grenzen skizziert. Die Zusammenfassung stelle ich nachfolgend unter den Gesichtspunkt der Frage, wohin man sich am besten bei welchen Problemen wendet.
Wann ist Seelsorge angebracht?
Es kommt darauf an, wie Sie selbst den Begriff definieren, eher ganz weit als „Sorge für die Seele“ oder eher grundsätzlich auf Spiritualität bezogen als „Spiritual Care“ oder eher im herkömmlichen Sinn im kirchlichen Kontext. Da die „Sorge für die Seele“ auch Coaching und Psychotherapie umfasst, beschränke ich mich für die Antwort auf Spiritual Care und herkömmliche Seelsorge.
Dem Bereich der Spiritual Care kann man auch Psychologische Beratung, Life-Coaching und die Tätigkeit von Heilpraktikern für Psychotherapie zuordnen, sofern dabei die Spiritualität integriert wird. Das kann sich auch bei Psychologischen Psychotherapeuten finden, aber dort kommt es seltener vor. Seelsorgeangebote im Spektrum der Spiritual Care in Anspruch zu nehmen, kann bei folgenden Kriterien empfohlen werden:
⇒ Sie wollen nicht nur mit Ihrem Glauben ganz ernstgenommen werden, sondern es ist Ihnen auch wichtig, dass Lebenshilfe und Glaubenshilfe nicht voneinander getrennt werden.
⇒ Sie wollen Ihre Probleme aus einer bestimmten spirituellen (geistlichen) Perspektive angehen.
⇒ Sie wollen sich im Zusammenhang mit der Bewältigung Ihrer Probleme einen heilsamen Raum der meditativen Erfahrung erschließen.
Seelsorge ereignet sich jedoch nicht nur im Beratungssetting, sondern auch begleitend und zur Unterstützung in besonderen Krisen wie zum Beispiel in der Trauer, bei Notfällen, in Kliniken und Gefängnissen oder bei Suizidalität. Auch Gruppenarbeit kann sehr hilfreich sein; insbesondere ist hier an das reichhaltige Spektrum von Selbsthilfegruppen zu denken. Nicht immer wird dabei aber auch die Spiritualität einbezogen.
Wann ist Coaching angebracht?
Die Antwort ergibt sich schnörkellos aus der Beschreibung, die Sie oben nochmals nachlesen können:
⇒ Ihre Priorität ist nicht Heilung, sondern Erkenntnis und Förderung einer gesunden Entwicklung.
⇒ Sie erleben zwar Probleme, aber das macht Sie nicht krank. Sie spüren noch genug Energie, um sich zuzutrauen, selbständig gute Lösungswege zu finden und zu gehen, aber Sie wollen es sich nicht unnötig schwer machen und gönnen sich darum fachkompetente Unterstützung.
⇒ Spirituelle Aspekte können dabei eine wichtige Rolle spielen, aber sie müssen nicht den Fokus bilden.
Psychotherapie ist auf jeden Fall angebracht bei seelischen Problemen mit erkennbarem Krankheitscharakter.
Wann ist Psychotherapie angebracht?
Ein großer Vorteil der Praxen für Psychologische Psychotherapie liegt natürlich darin, dass die Behandlung von den Krankenkassen bezahlt wird. Auf der anderen Seite kann das auch dazu einladen, eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch zu nehmen, wo es eigentlich nicht nötig wäre. Hilfesuchenden Menschen wird man das kaum zum Vorwurf machen können, denn sehr oft sucht man eine Fachperson auf, ohne noch genau zu wissen, welches Problem man hat. Unser Gesundheitssystem richtet die Aufmerksamkeit aber einseitig auf Krankheitsbilder und oft findet sich auch dort eine entsprechende Diagnose, wo eine Heilbehandlung eigentlich nicht unbedingt nötig oder sogar unangebracht wäre. Wieder im Bild gesprochen: Der Beinbruch ist eine klare Diagnose für eine Heilbehandlung, eine schwach entwickelte Beinmuskulatur nicht unbedingt, selbst dann, wenn man dafür einen medizinischen Fachbegriff heranziehen kann. Vielleicht bräuchte dieser Mensch einfach nur einen ermutigenden Trainer, um das Problem durch beständiges Laufen zu überwinden?
Das führt uns zur Antwort auf die Frage, wann Psychotherapie angebracht ist:
⇒ Psychotherapie ist auf jeden Fall angebracht bei seelischen Problemen mit erkennbarem Krankheitscharakter. Ein Kriterium dafür unter anderen könnte – wie bei anderen Erkrankungen – auch die Arbeitsfähigkeit sein. Wenn man selbst in der Einschätzung unsicher ist, kann man die Hausärztin fragen. Nicht selten sehen auch die nahen Angehörigen und Freunde ganz gut, wie ernst die Lage ist.
⇒ Psychotherapie nur zu wählen, weil sie nichts kostet, ist nicht zu empfehlen. Die Praxen der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sind vielfach überlaufen und man muss mit langen Wartezeiten rechnen. Damit tut man sich selbst nichts Gutes und ist anderen im Weg, die vielleicht dringender eine Behandlung bräuchten.
Wenn man bei seelischen Schwierigkeiten und Beziehungskrisen gleich eine psychotherapeutische Praxis aufsucht, ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass man ziemlich automatisch zum behandelten Patienten wird. Eine fachkompetente Person in Seelsorge oder Coaching wird auf der anderen Seite möglichst gleich beim Erstgespräch dazu raten, ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn ihr das besser erscheint. Aber es gibt auch noch die Alternative der breit gestreuten Netze der kommunalen Psychologischen Beratungsstellen. Dort kann man sich kostenlos dabei helfen lassen, erst einmal überhaupt Klarheit über sein Problem zu finden und man erhält Hinweise, wie dann der weitere Bewältigungsweg aussehen kann.